Hardy Crueger

Jeder Schriftsteller, der etwas auf sich hält, weiß: Man sollte möglichst nur über Dinge schreiben, die man kennt. Im Falle von Hardy Crueger war dies nicht unbedingt Mord und Totschlag, sondern Braunschweig, seine Heimatstadt. Hier ließ er bereits 1994 in seinem Krimi-Debüt den Privatschnüffler Rick Xaver Morton ermitteln. Lokalkrimis gab es zwar schon damals, aber nicht in der Flut, die ab der Jahrtausendwende kommen sollte. Kein Wunder, dass besonders Rezensenten der großen Metropolen eine Abneigung gegen Kriminalromane aus der Provinz haben (während Provence-Krimis regelmäßig abgefeiert werden).

Dass man auch hier echte Perlen entdecken kann, wird dabei gerne vergessen. »Irgendwo müssen Bücher ja schließlich spielen«, entgegnete Hardy, wann immer er auf dieses leidige Thema angesprochen wurde. Warum nicht auch in Braunschweig?

Eine solche Perle ist ganz sicher sein an der Oker angesiedelter Krimi »Der Flussmann«. Die Oker wurde für Hardy Crueger geradezu ein Schicksals-Fluss. Zwei Bücher mit »Okergeschichten« entstanden, die er über Jahre hinweg in den Sommermonaten auf einem Okerfloß vortrug. Diese »Okergeschichten« wurden mit der Zeit zu regionalen Bestsellern und er zu einer lokalen Berühmtheit. Die Idee dahinter war ganz simpel: Hardy sammelte Zeitungsmeldungen von Vorfällen, die sich am Okerufer ereigneten, und dachte sich passende Geschichten dazu aus. Auch in »Der Flussmann« und der jüngst erschienenen Fortsetzung »Der Bootsmann« spielt die Oker eine tragende Rolle. Gerade Verbrecher scheinen sich von Gewässern geradezu magisch angezogen zu fühlen. Irgendwie müssen die Leichen eines Krimis ja entsorgt werden.

Der in Oldenburg geborene Sohn eines Berufssoldaten hätte wohl nicht im Traum daran gedacht, dass er später seinen Lebensunterhalt als Schriftsteller verdienen sollte. Die Oker erkundete er erst im Alter von zehn Jahren, nachdem sein Vater, ein Berufssoldat, nach Wolfenbüttel versetzt wurde. Weil Wohnungen 1972 Mangelware waren, wurde die Familie im benachbarten Braunschweig sesshaft.

Seine Begeisterung für Literatur hielt sich damals noch in Grenzen. »Vorerst reichte sie nur für die Geisterjäger John Sinclair-Groschenhefte«, schrieb er später. Viel lieber verbrachte er Zeit mit seiner Gitarre. Als ihm klar wurde, dass eine Karriere als Rockstar zweifelhaft war, beschloss er, sein Abitur nachzuholen, und studierte Geschichte und Soziologie.

So kam er in Kontakt mit der Punk- und Hausbesetzer-Szene, die in den 1980ern auch in Braunschweig ihre Blütezeit erlebte. Hardy wurde Teil der Social Beat-Bewegung, die 1993 auf der Mainzer Minipressenmesse ins Leben gerufen wurde. Frühe Texte erschienen im Literaturmagazin »Der Störer«. Es war eine stürmische Zeit, die er im Rückblick sehr selbstkritisch betrachtete:

»… bald begriff ich, dass es wichtiger ist, den Menschen – wenn du möchtest, dass sie dir zuhören – eine gute, spannende Geschichte zu erzählen, als ihnen oberlehrerhaft zu erklären, welche Defizite sie haben.«

Mit seinem Erstling, der 1993 erschienenen Science Fiction-Groteske »Göttlicher Met«, hoffte er, sich eine Leserschaft jenseits des Undergrounds zu erschließen. Doch das 129 Seiten starke Werk, das von einem Kleinstverlag in Kaiserslautern herausgebracht wurde, brachte nicht die erwünschte Resonanz.

Ein Buch, das ihm fast zufällig in die Hände fiel, brachte die entscheidende Wendung. Es war allerdings kein Krimi, sondern Stephen Kings Psychothriller »Misery«, der den orientierungslosen Newcomer auf Kurs brachte:

»Ich las das Buch sicher dreimal komplett durch, machte Notizen, schaute mir ganz genau den Aufbau an und lernte. ›Misery‹ war eine Zeit lang wie eine Machete, mit der ich mich weiter durch den Dschungel kämpfte.«

Mit der Anthologie »Die sehr verschiedenen Fälle des Privatdetektivs Rick Xaver Morton« erschien 1994 sein erster Kriminalroman. Hardy hatte seinen ersten Helden und den Hauptschauplatz seiner zukünftigen Bücher gefunden. »Dilettanten« (1996), »Profis« (2001) und »Experten« (2006) bildeten eine Trilogie um einen in die Jahre gekommenen Ex-Punk. Die hier geschilderten Konflikte zwischen Einheimischen und türkischen Zuwanderern sind noch heute aktuell.

Auch wenn er viel von Stephen King gelernt hat: Ein Vielschreiber wurde er dadurch nicht. Um sich während der Arbeit an einem Buch über Wasser zu halten, machte Hardy Nachtdienste in einem Behandlungszentrum für Erwachsene mit geistiger Behinderung, gab Musikunterricht, veranstaltete szenische Lesungen oder leitete eine Krimiwerkstatt.

2004 änderte er für die Karriere sogar seinen Namen. »Immer wenn ich eine Lesung gab, war ein Teil der Menschen enttäuscht«, erklärte er diesen Schritt. Viele erwarteten seinen prominenten Namensvetter. Den Namen Hardy Krüger verdankte er seiner Mutter, die ein Fan des gleichnamigen Schauspielers war. Für ihn war der Name fast ein Fluch. Mit der neuen Schreibweise »Crueger« konnte er sämtliche Missverständnisse beseitigen.

Erst spät konnte sich Hardy ganz aufs Schreiben konzentrieren. Seine produktivste Zeit kam in den Jahren nach 2012, in denen er vierzehn Bücher schrieb (eines noch immer unveröffentlicht), seine Frühwerke aufpolierte und Kurztexte für Anthologien beisteuerte. Ein Highlight war sicher der historische Roman »Der Herzog, der Räuber und die Tochter des Goldschmieds«, der ganz in der Sprache des 18. Jahrhunderts geschrieben wurde und penibel recherchiert war. Es war einer seiner Versuche, dem Kriminalroman zu entfliehen, wie auch seine Haus-Trilogie »Glashaus«, »Irrenhaus« und »Schlachthaus«, in der es weitaus blutiger zuging, als man von ihm gewohnt war.

Wie so oft war der Autor das genaue Gegenteil seiner Romane. Stets humorvoll und liebenswürdig verkörperte er genau das, was man unter dem Begriff »ehrliche Haut« versteht. Eine glückliche Beziehung gab ihm im tagtäglichen Existenzkampf Halt. Nur manchmal klang das Bedauern über den späten Karrierestart an. Es war, als wolle er diese verlorene Zeit wettmachen. Fieberhaft arbeitete er an neuen Projekten, tauschte sich mit Kollegen aus, knüpfte Kontakte zu Verlagen und überlegte sorgsam den nächsten Schritt. Das Ende kam auch für ihn völlig überraschend. Vier Wochen nach Erscheinen seines aktuellen Romans starb er am vergangenen Samstag , den 27. September, nach kurzer, schwerer Krankheit.

Pläne hatte er noch viele. Ein nie realisiertes Traumprojekt war ein in der Steinzeit angesiedelter Roman. Ein unveröffentlichter Katastrophenthriller stand dagegen kurz vor seiner Veröffentlichung. Wie bei allen echten Schriftstellern wird seine Arbeit Hardy Crueger also überleben. Für alle, die ihn kannten, ist dies allerdings ein schwacher Trost. Wir bei wortmax werden Hardy als langjährigen guten Freund, Autoren- und Bloggerkollegen schmerzlich vermissen.