Hardy Crueger: Der FlussmannViele Kriminalschriftsteller legen sich auf eine Figur fest, die sie oft über Jahrzehnte hinweg ermitteln lassen. Auch der Aufbau bleibt fast immer identisch. Im Grunde schreiben sie dasselbe Buch immer wieder neu. Die Leserschaft scheint dies offenbar zu schätzen, denn in unserer immer beängstigender werdenden Welt ist es schön, wenn zumindest im Kriminalroman alles nach Plan abläuft und das Böse am Ende bestraft wird.

Hardy Crueger ist eine der seltenen Ausnahmen. Zwar hat auch er mit seinem Privatschnüffler Rick Xaver Morton und dem Ermittlerduo Sanders und Kolwicz genretypische Protagonisten eingesetzt, doch selbst hier war er bemüht jedem einzelnen Roman eine ganz spezielle Note zu geben. Dieses sich neu erfinden macht seine Bücher reizvoll und hebt sie wohltuend aus dem Subgenre der Regionalkrimis hervor. »Der Flussmann«, sein neuer Braunschweig-Krimi, steht ganz in dieser Tradition.

Nachdem Denise Bachmanns Ehemann Robin nach einer Firmenfeier spurlos verschwindet, beginnt für sie ein Alptraum. Neben der Ungewissheit, die sie fast zur Verzweiflung treibt, muss sie sich mit der Polizei auseinandersetzen, die offenbar Besseres zu tun hat, um sich dem Fall zu widmen. Ärgerlich fordert sie daher die Netzgemeinde auf, ihr bei der Suche nach dem Vermissten zu helfen. Nur leider hat sie nicht damit gerechnet, dass sie damit Menschen auf sich aufmerksam macht, denen man lieber nicht begegnet.

Als Robins Leiche schließlich in der Oker gefunden wird, tut die Polizei die Sache als Unfall ab. Denise Bachmann jedoch ist überzeugt, dass ihr Mann das Opfer eines Verbrechens wurde, auch wenn ihre Umwelt sie für verrückt hält. Im Internet verkündet sie, dass sie nicht aufhören wird nach der Person zu suchen, die für den Mord verantwortlich ist. Damit allerdings macht sie sich nicht nur die Polizei zum Feind, sondern weckt auch das Interesse eines gefährlichen Psychopathen.

Regionalkrimis sind mittlerweile ein florierendes Genre. Vor allem sind sie besser als ihr Ruf. Ist nicht auch der sonntägliche »Tatort« am Ende nichts anderes als ein Lokalkrimi? Die Leserinnen und Leser mögen es, wenn sie die Handlungsorte kennen, da sie sich praktisch vor der eigenen Haustür befinden. Man weiß, wie die Straßenbahnhaltestelle aussieht, zu der Robin Bachmann angeblich wollte. Man kennt den Ölper See, an dem Denise Bachmann regelmäßig joggen wird, um den Täter anzulocken.

Crueger spielt virtuos mit unseren Erwartungen. Während man am Anfang mitleidet, wenn die polizeiliche Untersuchung nur quälend langsam vorangeht und unsere Protagonistin vor Kummer verzweifelt, nimmt der Roman unmerklich Fahrt auf und wird am Ende zum furiosem Thriller. Auch Denise Bachmann selbst, macht eine enorme Wandlung durch. Anfangs hysterisch, trotzig und fast naiv, wandelt sie sich zur Besessenen, die nur noch ein Ziel vor Augen hat: Den Mörder ihres Mannes zu finden, auch wenn sie manchmal von Selbstzweifeln gequält wird. Crueger spielt mit Thriller- und Horrorelementen, wechselt die Erzählebene, lockt uns auf falsche Fährten, nur um unbeirrt aufs Ziel zuzusteuern.

Wie sein frühes Vorbild Stephen King weiß Crueger, dass der wahre Schrecken im Alltäglichen, wie dem Internet, liegt, in dem Menschen wie Denise Bachmann vor einem anonymen Publikum ihr Innerstes ausbreiten. Mit manchmal unerwünschten Folgen.

Hardy Crueger: Der Flussmann | Deutsch
CW Niemeyer 2023 | 336 Seiten | Jetzt bestellen