Martin Cruz Smith bewies bis zum Schluss ein sicheres Gespür für Timing: Nur drei Tage vor seinem Tod erschien mit »Hotel Ukraine« sein letzter Roman. Bei uns sind der amerikanische Bestsellerautor und sein russischer Held Arkady Renko leider etwas in Vergessenheit geraten. »Die Spur des Bären« kam 2021 nur als Taschenbuch heraus, der Nachfolger »Independence Square« wartet bis heute auf seine deutsche Veröffentlichung.

Zugegeben: Arkady Renko ist schon seit ein paar Jahren nicht der Alte. Schuld war die Parkinson-Erkrankung, unter der Smith seit drei Jahrzehnten zu leiden hatte. Irgendwann wurde es so schlimm, dass der Autor seine Frau bitten musste, seine Finger zu sein. Die letzten Bücher wurden von ihr zu Papier gebracht, während er daneben saß und nach Worten rang. Infolgedessen sind sie auf das Wesentliche reduziert – was der Spannung jedoch keinen Abbruch tut. Wie sein Held blieb Smith bis zuletzt eine Kämpfernatur:

»Manchmal finde ich nicht das Wort, das ich suche, dann nehme ich eben das zweite oder dritte Wort, denn ich mag es, neue Wege zu beschreiten, um etwas auszudrücken.«

Wer sich etwas mit Parkinson auskennt, weiß, wie viel Kraft ihn das gekostet haben mag.

Vorher fiel ihm das Schreiben leicht. Schon lange bevor sein Welterfolg »Gorky Park« (1981) erschien, hatte Martin Cruz Smith einen voluminösen Output. So arbeitete er als Journalist bei einer Presseagentur, schrieb Sex- und Crime-Storys für ein Männermagazin und unter Pseudonymen wie »Martin Quinn«, »Simon Quinn« oder »Jake Logan« einen ganzen Haufen Bücher, von denen die meisten es nicht wert sind, sich an sie zu erinnern.

All das änderte sich, als ihm die Krimis von Maj Sjöwall und Per Wahlöö in die Hände fielen. Den grimmigen Realismus ihrer Geschichten fügte er seinem eigenen Sinn für Melodram und Romantik hinzu. Diese Elemente verband er mit einer Prise russischer Schwermut sowie einem eleganten Schreibstil, der seinesgleichen suchte.

Sein Moskauer Ermittler Arkady Renko hatte daher nie ein leichtes Leben. Erst verliert er seine große Liebe Irina, dann versetzt man ihn in die Todeszone von Tschernobyl. In »Stalins Geist« wird ihm eine Kugel in den Kopf geschossen, und seit dem letzten Buch muss er sich auch noch mit Parkinson herumschlagen.

Unter all diesen Vorzeichen musste man fast Angst haben, das Finale Opus aufzuschlagen. Doch diese Angst ist zum Glück unbegründet. In »Hotel Ukraine« zeigt sich der Autor in bester Erzähllaune.

Diesmal soll Renko den Mord an einem Politiker aufklären, der im Moskauer »Hotel Ukraine« (dem höchsten Hotelgebäude Europas) getötet wurde. Zur Seite gestellt wird ihm dabei Marina Makarova, eine einstige Geliebte und nun Mitarbeiterin der russischen Staatssicherheit, die alles daran setzt, ihn, den ewigen Querulanten, auszuschalten. All dies geschieht, während russische Truppen in die Ukraine eindringen.

Renkos Ziehsohn hat sich indessen einer Gruppe von Hackern angeschlossen, die auf Social-Media-Plattformen das Putin-Regime anprangert. Auch seine Parkinson-Erkrankung ist inzwischen schlimmer geworden. Nachdem sie von seinen Vorgesetzten entdeckt wird, muss Renko zwangsläufig die Ermittlungen einstellen.

Trotz des unfreiwilligen Vorruhestands begleitet er seine Freundin, die Journalistin Tatiana Petrovna, nach Bucha, einer Stadt in der Ukraine, wo sie auf Zeugen von unfassbaren Gräueltaten treffen. Besteht ein Zusammenhang mit dem Mord im Hotel? In Anbetracht solcher Kriegsverbrechen wirkt die Suche nach einem Einzeltäter nahezu grotesk.

Auch wenn »Hotel Ukraine« einige Zeit braucht, um in die Gänge zu kommen, nimmt das Buch rasant an Fahrt auf, sodass man es gegen Ende nicht mehr weglegen mag. Zwar ist der schmale Band meilenweit von der literarischen Qualität einiger Vorgänger, wie beispielsweise »Treue Genossen«, entfernt, doch das ist aufgrund der Umstände verständlich.

Martin Cruz Smith wusste, dass dies sein letztes Buch sein würde. Überraschenderweise ist es kein schwermütiger Abgesang, auch wenn es von einem 82-jährigen todkranken Mann verfasst wurde. Stattdessen ist es mit viel schwarzem Humor und Optimismus für eine bessere Zukunft geschrieben.

Bis zuletzt versuchte Smith, mit der Zeit zu gehen. Daher muss Renko sich mit einer Influencerin, Handys und einem Flash-Laufwerk herumschlagen. Und wie immer gewährt der aus Reading, Pennsylvania, stammende Autor tiefe Einblicke in die russische Seele: Um die Russen zu verstehen, sollte man »Alice im Wunderland« gelesen haben, überlegt Arkady Renko an einer Stelle. Kulturelle Aneignung, ick hör dir trapsen …

Martin Cruz Smith: Hotel Ukraine | Englisch
Simon & Schuster 2025 | 276 Seiten | Jetzt bestellen