Jan Weiler: Kühn hat HungerWenn Du dieses Buch gelesen hast, verwandelst Du Dich von dem Teppichtiger, der du gerade bist, in eine reißende Bestie. Denn das liegt in deiner Natur. Zu lange haben wir uns von den Frauen domestizieren lassen. Wir haben uns die Brust rasiert, bunte Cremes in unsere Gesichter geschmiert und aufgehört, beim Fernsehen zu furzen. Ich entschuldige mich nicht für meine klare Sprache, und wenn Du mit diesem Buch durch bist, wird es Dir genauso gehen.

Der dritte Fall für Hauptkommissar Martin Kühn: Eine junge Frau wird tot aufgefunden, und Kühn muss sich auf die Suche nach den Schuldigen machen. Die beiden Täter bleiben dem Leser nicht lange unbekannt, denn Jan Weiler konzentriert sich mehr auf die Ursachen, die zu dem tragischen Tod führten konnten. Sowohl die Umstände der tödlichen Begegnung, als auch der Werdegang der beiden Täter, der sie in diese Situation führte. Während Kühn und seine Kollegen sich also erst langsam herantasten, erfährt der Leser nach und nach die dramatischen Hintergründe der Tat.

Aber die junge Tote ist nicht Kühns einziges Problem in diesem Roman. Eines der beiden Hauptthemen verrät bereits der Titel: Martin Kühn ist unzufrieden mit seinem Gewicht und will dringend abnehmen. Dazu nutzt er den Selbsthilferatgeber »Weck die Bestie, du Sau!«, mit ähnlich lächerlichem Alphatiergetue wie in dem Bestseller von Kollege Kollegah. Inwieweit Jan Weiler dessen Buch parodiert hat, kann ich nicht sagen, da das Original bereits wie eine Satire klingt. Aber was weiß ein Lauch wie ich schon über echte Männer?

Es ist einfach nur unglaublich, wie solche Machwerke Egoismus und Rücksichtslosigkeit propagieren. Alles, was nicht dem eigenen Vorteil dient, ist Schwäche und deshalb eines echten Mannes unwürdig. Ich kann nur hoffen, dass Jan Weiler in seinem fiktiven Ratgeber nur eine sehr übertriebene Version vom Inhalt solcher Bücher geschaffen hat.

Der Ratgeber dient aber auch zur Illustration des Hauptthemas von »Kühn hat Hunger«: Männer, die sich ihrer Männlichkeit beraubt fühlen und ihr daraus resultierender Hass auf Frauen. Wo der Roman das Selbstverständnis dieser Männer beleuchtet, ihre Rechtfertigungen und Erklärungsversuche zeigt, sowie ihre Interpretation des Verhaltens der Frauen, die ihnen begegnen, ist er ebenso amüsant wie erschreckend. Vieles davon, was wie eine lahme Ausrede für kriminelles Verhalten klingt, entspricht der tatsächlichen Gedankenwelt der Täter im Buch. Hier gelingen Weiler faszinierende Psychogramme von vermeintlich erniedrigten Männern, die glauben, sich wehren zu müssen.

Die ersten beiden Bände der Kühn-Reihe, »Kühn hat zu tun« und »Kühn hat Ärger«, haben mich sehr begeistert und dieser steht ihnen in nichts nach. Dieses Mal ist das Privatleben der Kühns etwas in den Hintergrund getreten, dafür gibt es mehr Ärger im beruflichen Umfeld. Sein ehemaliger Partner ist zum schärfsten Konkurrenten um eine bevorstehende Beförderung geworden und der tägliche Kontakt zu einer Kollegin, mit der ihn ein einmaliger Seitensprung verbindet, erleichtert die Arbeit nicht unbedingt. Und natürlich dieser ewig quälende Hunger.

Viele Zutaten für eine einzige Geschichte, aber Weiler bringt sie in eine wunderbare Balance und lässt alles wie aus einem Guss erscheinen. Das Ende der Geschichte gibt schon einen kleinen Ausblick darauf, wie es weitergeht mit Martin Kühn, und ich freue mich schon sehr auf den nächsten Band dieser Reihe.

Jan Weiler: Kühn hat Hunger | Deutsch
Gelesen vom Autor | Dauer: 12:40 Std.
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