»Einen klar definierten Ruf hat Braunschweig aber nicht. Es ist zum Teil als hässlich verschrien und zum Teil als langweilig«, konnte man einmal in der Zeit lesen. Wer Hardy Cruegers neuen Thriller gelesen hat, bekommt einen ganz anderen Eindruck. Hier passieren in der verschlafenen Löwenstadt Morde, Entführungen, wilde Verfolgungsjagden und auch mal ein mit Absicht herbeigeführtes Zugunglück.

Hardy Crueger, Experte für Mordgeschichten an der Oker, hat die Veröffentlichung seines letzten Buches gerade noch erlebt. Todkrank verstarb er nur wenige Wochen nach der Veröffentlichung. In »Der Bootsmann« lässt er es noch einmal so richtig krachen. Es ist die direkte Fortsetzung seines Thrillers »Der Flussmann« und vergeudet, vor allem was den Nervenkitzel betrifft, keine Zeit.

Drei Jahre sind seit dem letzten Buch vergangen. Denise Bachmann, ist inzwischen Mutter eines dreijährigen Sohnes, das Einzige, das ihr von ihrem ermordeten Partner geblieben ist. Noch immer hat sie die damaligen Ereignisse nicht verarbeitet, denn die Angst, dass der Täter eines Tages zurückkehrt, ist ständig präsent. Constantin Fischer, genannt der »Flussmann«, sitzt derweil auf Lebenszeit in einem Hochsicherheitsgefängnis, was ihn jedoch nicht davon abhält, in seiner Zelle Rachepläne zu schmieden. Auch Privatdetektiv Lorenz Gabriel, der den Psychopathen mit knapper Not zur Strecke bringen konnte, steht auf seiner Liste zukünftiger Opfer.

Inzwischen treibt ein neuer Störenfried auf der Oker sein Unwesen. Ein Unbekannter paddelt in einem Kajak den Fluss entlang, um wahllos Frauen zu drangsalieren. Als es zu einem Zwischenfall kommt, bei dem fast ein junges Mädchen den Tod findet, steigen bei Denise alte Ängste auf. Ist der ominöse »Bootsmann« nur ein durchgeknallter Frauenhasser, oder steckt mehr dahinter? Durch eine Computerpanne kommt es schließlich zu einer fatalen Verwechslung, die zur Folge hat, dass Constantin Fischer irrtümlicherweise auf freien Fuß gesetzt wird. Für Denise Bachmann beginnt erneut eine Zeit des Schreckens.

Man merkt, dass Hardy Crueger längst ein alter Profi ist. Ganz auf der Höhe seines Könnens versteht er es schon auf den ersten Seiten, Spannung aufzubauen. Dabei gönnt er seinen Akteuren keinerlei Ruhepausen. Zwar geschieht das manchmal vielleicht auf Kosten der Charakterisierungen, doch die Handlung verläuft besonders in der zweiten Hälfte derart rasant, dass solche Kleinigkeiten nicht ins Gewicht fallen.

Constantin Fischer, der »Flussmann«, ist in diesem Buch fast eine Art niedersächsischer Hannibal Lecter, ein unberechenbarer, hochintelligenter Superverbrecher, der seinen Gegnern stets einen Schritt voraus ist. Der titelgebende »Bootsmann«, ein sogenannter »Incel«, ist dagegen aus einem anderen Holz geschnitzt. Eigentlich als tragische Figur angelegt, steht er stellvertretend für eine Männlichkeit, die sich von starken Frauen bedroht fühlt.

Das sogenannte »Incel-Syndrom« (Incel = Involuntary Celibate), von dem hier öfter die Rede ist, scheint besonders im Internet um sich zu greifen. »Incels« sind notgeile Männer, ohne Sexualpartnerin, die mit einem enormen Aggressionspotential gegen Frauen ausgestattet sind. Dies und eine allgemeine Digitalisierungseuphorie, die blind ist, gegenüber allen Gefahren der Technik, sind die eigentlichen Themen des Buches. Der Autor spielt dabei meisterhaft mit den Versatzstücken des Genres, erlaubt er sich auch gelegentliche ironische Anspielungen, wie einen kurzen Gastauftritt von Kommissar Carsten Sander(»Die Stunde der Flammen«), einer anderen Figur aus dem Crueger-verse.

Hardy Crueger war ein Mensch ohne jegliche Prätentionen. Gerade das machte ihn und seine Krimis so echt und sympathisch. Er wollte mit seinen Büchern vor allen Dingen unterhalten und Spannung erzeugen. Mit Erfolg, denn im Laufe der Jahre konnte er sich eine feste Fangemeinde aufbauen, die jedem seiner Bücher gespannt entgegenfieberte. Am Ende fragt man sich unwillkürlich, wie es mit Denise Bachmann und Lorenz Gabriel weitergegangen wäre. Oder mit ihrem Schöpfer, Hardy Crueger. Nun werden wir es leider nie erfahren.

Hardy Crueger: Der Bootsmann | Deutsch
CW Niemeyer 2025 | 384 Seiten | Jetzt bestellen