Böse Zungen behaupten, dass die Gegend zwischen Hildesheim und Oschersleben zu den langweiligsten unseres Erdenrunds gehört. Wer hier mordet, erweist seinen Opfern wahrscheinlich einen Gefallen. Ein Autor, der ausgerechnet diesen Landstrich zum Schauplatz eines Thrillers macht, beweist Mut. Doch gerade dieser Mut zum Alltag, zum Unspektakulären ist es, der diesem Roman seinen Reiz verleiht. Hardy Crueger schafft es, vielen Standards des Genres einen neuen Dreh zu geben.
Auch der Held Carsten Sanders, Kommissar vom LKA Niedersachsen, ist meilenweit von den Figuren handelsüblicher Krimikonfektionsware entfernt. Sanders ist kein spleeniger Kauz wie Inspektor Columbo oder Hercules Poirot. Er verkörpert eher den Durchschnittstypen von nebenan, mit dem man gern beim Public Viewing in der Fußballkneipe von gegenüber ein Bierchen zischen würde. Ein gutmütiger Kerl, der seiner verstorbenen Frau nachtrauert und zusammen mit seinem geistig zurückgebliebenen Bruder Ulli haust. Den Dienst absolviert er anfangs eher unmotiviert, nach Vorschrift. Er ist in erster Linie Beamter, kein Held, kein kerniger Typ mit Ecken und Kanten.
Das restliche Personal ist ähnlich unspektakulär wie die Geografie, in der sich die Handlung entfaltet. Crueger skizziert jedoch keine Abgründe kleinstädtischer Bourgeoisie, wie etwa Georges Simenon. Seine Figuren sind erfrischend bodenständig und unverbraucht. Menschen wie Du und ich. Gerade diese Alltäglichkeit ist es, die einen schnell in die Geschichte eintauchen lässt. Ehe man sich versieht, fiebert man mit Carsten Sanders und seiner Kollegin Mandy Kolwicz, die erkennen müssen, dass die drei verkohlten Frauenleichen, die in kurzen Zeitabständen zwischen Niedersachsen und Sachsen-Anhalt entdeckt werden, Teil eines grausamen Spiels sind, das ein Serienmörder mit ihnen treibt. Doch der Täter ist nicht nur wahnsinnig, sondern auch clever und versteht es, seine Spuren zu verwischen.
Bis zum Schluss vollbringt Hardy Crueger das Kunststück, alle Puzzleteile seiner Mordgeschichte zu jonglieren, die Spannung zu steigern, zwischendurch mit humoristischen Einlagen für kurze Verschnaufpausen zu sorgen, nur um der Geschichte sofort eine neue Wendung zu geben. Zwar ist die Figur des Serienmörders schon längst nicht mehr neu, doch trotzdem gelingt es Crueger, dem Ganzen ein paar neue Facetten abzugewinnen. An einigen Stellen lässt er sogar innerdeutsche Ost-West-Problematik und einen Hauch Sozialkritik anklingen. Sein routinierter Stil, der es immer wieder schafft, eine bedrohliche Atmosphäre zu erzeugen, und vor allem sein Ohr für lebensnahe Dialoge, machen die Lektüre zu einem wahren Vergnügen. Einmal angefangen, ertappt man sich dabei, immer schneller umzublättern.
»Die Stunde der Flammen« ist ein echter Schmöker, im allerbesten Sinne. Man kann nur hoffen, dass Carsten Sanders ein weiterer Auftritt vergönnt sein wird.
Hardy Crueger: Die Stunde der Flammen | Deutsch
KBV Verlag 2015 | 386 Seiten | Leseprobe und mehr | Bestellen