Nach einem Einstieg mit Sogwirkung fasert die von Terry Pratchett und Stephen Baxter erdachte Reihe »Die lange Erde« in satten vier weiteren Bänden aus. Es mangelt nicht an überraschenden Ideen, jedoch an überzeugender Darstellung; so geraten »Der lange Krieg«, »Der lange Mars«, »Das lange Utopia« und »Der lange Kosmos« zur trockenen Wissenschaftsbuchreihe mit quälend langweilig abgehandelten Schicksalen, die sich an grundsätzlich interessanten Vorstellungen entlanghangeln, die auf der Annahme von unendlich bereisbaren Parallel-Erden, -Marsen und -Kosmen fußen.

Im Grunde waren die besten Ideen bereits im Auftakt abgefrühstückt, in dem Pratchett und Baxter davon erzählen, wie die Menschheit die Fähigkeit erlangt, in parallele Erden zu reisen: Siedlertum, Technikentwicklung, Gesellschaftsentwicklung, politische Bewegungen, Abenteuerdrang. Der Rest der Bücher spinnt diese Fäden weiter und einige neue hinzu. In »Der lange Krieg« entdecken die Menschen neben den bereits bekannten Trollen weitere Humanoide und geraten irgendwie aneinander; in »Der lange Mars« stellen sie fest, dass die Parallel-Marse nicht deckungsgleich sind mit den Parallel-Erden, jeder Mars jeder parallel-Erde also eine eigene Kette Parallel-Marsen enthält (und somit jede von solchen Marsen aus bereiste Erde ebenfalls unendliche weitere eigene Parallel-Erden, den Punkt greifen die Autoren nicht weiter auf) und begegnen außerdem erstmals den intellektuell weiterentwickelten Menschen, die sich selbst »Next« nennen; in »Das lange Utopia« treffen die Menschen auf Alien-Käfer, die aus einer der Erden etwas Tödliches bauen; und in »Der lange Kosmos« folgen sämtliche Humanoide aller Parallel-Erden der »Datum« genannten Ur-Erde einem Ruf aus dem All, sich an etwas zu beteiligen, wodurch sie dazu befähigt werden, wie die Alien-Käfer Sprünge quer durchs Universum zu absolvieren.

Nun scheint Pratchetts Humor in diesen Fortsetzungen zu fehlen, da jener aus gesundheitlichen Gründen am Schreibprozess gehindert gewesen sein muss, denn die Geschichten sind sehr theoretisch und nüchtern erzählt, viel zu sachlich, um den Lesenden die bisweilen doch recht emotionalen Geschehnisse wirklich zu Herzen gehen zu lassen. War das gelegentliche Theoretisieren im ersten Buch zunächst noch erforderlich, um die physikalischen Grundlagen für die Ausgangsidee plausibel zu machen, vertiefen sich solche Lexikoneinträge fürderhin viel zu sehr, um die aufkommende Spannung auf lange Strecke aufrecht zu halten. Die aus den neuen Möglichkeiten resultierenden Ideen sind daher so vertieft und ausführlich dargestellt, dass sie ihren Reiz verlieren, zudem sprachlich so trocken, dass sie nicht mal literarisch Freude bereiten.

Zu den geschilderten Szenarien gehören biologische Absonderlichkeiten, die den Menschen auch mal zur Bedrohung werden können (längst ausführlich im ersten Band abgehandelter Fantasy-Standard), die Gesellschaftsformen anderer Humanoide (die, einmal als potentielle Bedrohung ausformuliert, für den Fortgang der Reihe im Einzelfall offenbar an Bedeutung verlieren und in Vergessenheit geraten, siehe die Beagles), naja, und viel so Zeug, das man in der nicht erfüllten Hoffnung auf spannende Abenteuer alsbald aus dem Gedächtnis löscht. Nicht mal der Tod ist endgültig, in vielen Fällen, und wo doch, vergisst man die entsprechenden Figuren recht schnell. Ebenso viele der ermüdenden Nebenhandlungen, etwa die von der Allianz natürlicher Weltenwechsler, die sich im 19. Jahrhundert ins Weltgeschehen einmischte; irgendwie musste das Buch ja dick werden. Und wer suchte da jetzt noch gleich wo wessen Sohn?

Es ist einfach sehr zäh. Man hätte die vier Bücher vermutlich auf ein etwas dickeres zusammenstreichen können, ohne die guten Ideen einzubüßen. Solche wie: Wenn die Mars-Expedition in einer der Parallel-Versionen plötzlich auf künstliche Bebauung und Technik trifft sowie eine Version weiter auf menschenfressende Bewohner, befeuert das die Abenteuerlust der Lesenden, obwohl es im Grunde nur die bereits bekannten irdischen Geschehnisse auf den Mars überträgt, aber im All ist es eben aufregender. Wenn die KI Lobsang mit der zur KI umgebauten ehemaligen Ordensschwester und einem realen Kind im Schlepptau auf einer Erdversion den harmlosen Siedler gibt, wohl wissend, dass sich im Inneren dieser Erde merkwürdige Begebenheiten anbahnen, weil sich darin Aliens eingenistet haben, geht das spannend los, verpufft dann aber wiederum im Theoretischen, auch wenn sich der kosmische Nachthimmel eindrucksvoll liest, der am Ende der Erkenntnisse steht. Das mit den Next beginnt damit, dass diese arroganten Menschenähnlichen mit tödlicher Gewalt gegen Menschen vorgehen, wovon im Verlauf nur noch eine arrogante Haltung mit weiteren soziologischen Theorien übrigbleibt.

Im letzten Buch verkrümelt sich der Hauptheld Joshua Valienté in eine Erdversion, in der sein Bein zertrümmert wird, er einen Troll trifft, seinen verlorenen Sohn vor einem Monster rettet und irgendwann doch wieder irgendwoandershin wechselt. Parallel bauen Next und Menschen irgendetwas auf, was ihnen von aus dem All diktiert wird, und beide Stränge langweilen und ermüden, man quält sich noch mehr durch das Buch als durch die Theoreme des zweiten Bandes, der schon erschreckend mühsam war. Dabei erweckte es Neugier, dass auf allen Erdvarianten, die der Zählung gemäß Pi folgten, etwas Besonderes geschah; also Erden Nummer 31, 314, 3141, 31415 usw., denn auch das Aliengebilde entsteht auf einer Pi-Erde. Im Grunde bietet der Schluss sogar Potential für Band sechs, wer weiß, was Baxter da noch zusammenbraut.

Und so sehr einem die Figuren trotz ihrer Blässe alsbald nahegekommen sind und man sie am Ende kurz einmal vermisst, sind sie einem recht schnell auch wieder egal. Dafür erzählt Baxter nicht emotional genug, und Pratchetts Anteile an den vier Büchern reichen nicht aus, um das abzufedern; es darf bezweifelt werden, dass jener Autor überhaupt viel dazu beitrug, schließlich war er schwer erkrankt und zum Zeitpunkt des Erstellens des letzten Buches verstorben. Dabei basiert alles auf einer uralten Idee des Fantasy-Magiers, der Kurzgeschichte »Die hohen Meggas« nämlich, die er schon in den Achtzigern erstellte, aber zugunsten der »Scheibenwelt« zurückstellte und erst 2013 in »A Blink Of The Screen« (2018 als »Große Worte« auf Deutsch) veröffentlichte. Schade, dass Baxter die aufregende Grundidee auf diese Weise so zäh zerdehnte.

Terry Pratchett & Stephen Baxter: Der lange Krieg | Deutsch von Gerald Jung
Goldmann 2016 | 576 Seiten | Jetzt bestellen
Terry Pratchett & Stephen Baxter: Der lange Mars | Deutsch von Gerald Jung
Goldmann 2018 | 448 Seiten | Jetzt bestellen
Terry Pratchett & Stephen Baxter: Das lange Utopia | Deutsch von Gerald Jung
Goldmann 2019 | 448 Seiten | Jetzt bestellen
Terry Pratchett & Stephen Baxter: Der lange Kosmos | Deutsch von Gerald Jung
Goldmann 2019 | 480 Seiten | Jetzt bestellen