T.C. Boyle: Das LichtUnser Bücherblog wortmax.de ist einst aus der Fan-Website www.tcboyle.de hervorgegangen. Als Betreiber der beiden Websites könnten böse Zungen mir bei der Vorstellung eines neuen Romans von T.C. Boyle Befangenheit unterstellen und behaupten, ich fände kritiklos jedes Buch des gefeierten kalifornischen Schriftstellers großartig. Grob betrachtet hätten diese bösen Zungen natürlich recht.

Genau genommen ist es aber so, dass für mich nicht jeder Roman von T.C. Boyle gleich gut ist. Gerade bei seinen jüngeren Veröffentlichungen, wie zum Beispiel »Die Terranauten«, hat Boyle meiner Meinung nach – gemessen an seinen Möglichkeiten und dem Glanz früherer Werke – Einiges verschenkt.

Seinem neuesten Roman »Das Licht« kann ich dies – bei allen Bemühungen um eine kritische Auseinandersetzung – nicht vorwerfen. Im Gegenteil: Die Geschichte um LSD-Guru Timothy Leary und seine Gefolgschaft ist für mich Boyles beste Erzählung seit »Drop City«. Mindestens. Vielleicht war es einfach mal wieder Zeit für einen richtig großen Wurf. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass Boyle das Sujet seines neuen Romans aus der eigenen (frühen) Biographie bestens vertraut ist.

Erzählt wird zunächst in einem äußerst amüsanten Prolog, wie der Schweizer Chemiker Albert Hoffmann im April 1943 LSD entdeckt und die Substanz in der kleinsten für ihn denkbaren wirksamen Dosis im Selbstversuch testet. (Tatsächlich war die Dosis aus heutiger Sicht drei- bis fünfmal so hoch wie die normal wirksame.)

Im Hauptteil widmet sich »Das Licht« dem Psychologen und Harvard-Professor Timothy Leary, der zu Beginn der 60er Jahre mehrere Jünger um sich schart, um gemeinsam unter dem Deckmantel eines Forschungsprojekts an eigen Leib und Seele mit LSD herum zu experimentieren; wobei: die eigentlichen Hauptfiguren sind Learys wissenschaftlicher Assistent Fitz und seine Frau Joanie. Sie und noch einige andere hat Boyle fiktiv in Learys berühmten Zirkel gepflanzt.

Der Weg von Leary & Co. führt in drei Kapiteln von der Universitätsstadt Cambridge in Massachusetts über ein Sommercamp im mexikanischen Zihuatanejo nach Millbrook im US-Bundesstaat New York, wo sie schließlich eine Kommune gründen. Mehr Inhalt soll hier nicht verraten werden.

Was mich persönlich an Boyles neuem Roman begeistert, ist zum einen, mit welch großartigen Beschreibungen er die Leserschaft an den Trips seiner Protagonisten teilhaben lässt, im Positiven wie im Negativen. Und zum anderen, wie er das ganz große Drama permanent an die Tür klopfen lässt, die Tür aber nicht öffnet, um das ganz große Drama hereinzulassen. Ständig denkt man: Jetzt geht’s los! Jetzt knallt es aber richtig! Jeder andere Autor hätte hier mit Freude zugegriffen und eine Eskalation an die nächste gereiht. Doch Boyle nimmt immer wieder geschickt den Fuß vom Gaspedal, ohne dass dabei jedoch die Erzählung insgesamt an Fahrt verliert. Es ist eben ein schleichender Kontroll- und Realitätsverlust, der sich bei den LSD-Konsumenten vollzieht, und die Leserinnen und Leser dürfen das genau so miterleben.

Beides, sowohl der gelungene Versuch, die LSD-Trips in Worte zu fassen, als auch die Darstellung des langsam voranschreitenden Prozesses von der Neugier zur Sucht, vom ersten Ausprobieren bis hin zu immer höheren Dosierungen, ist große Erzählkunst. Sage ich als Boyle-Fan, na klar. Sagt dieses Mal im Wesentlichen aber auch das Feuilleton.

Ab heute ist T.C. Boyle auf Lesereise durch Deutschland, Österreich und die Schweiz.

T.C. Boyle: Das Licht | Deutsch von Dirk van Gunsteren
Hanser 2019 | 384 Seiten | Leseprobe und mehr | Bestellen