Es gibt Künstler, deren Laufbahn man sein Leben lang interessiert verfolgt. Für mich sind das Leute wie Terry Gilliam, Robert Crumb, Michael Chabon oder Woody Allen. Auch ihre Fehlschläge sind zumindest interessant. Über die Jahre sind sie wie Freunde für mich geworden, auch wenn solche Freundschaften meist recht einseitig verlaufen.

Harlan Ellison ist einer der wenigen Autoren, die schon zu Lebzeiten zur Legende wurden. Eine Legende, die er selbst gern ausschmückte. Unsterblich ist die Geschichte, in der er seinem Verlag, mit dem er damals im Streit lag, einen toten Maulwurf schickte (mit im Paket befand sich ein Kochbuch). Der verblichene Nager lag das gesamte Wochenende bei hochsommerlichen Temperaturen in der Postabteilung des Verlags. Als die Büros am Montag geöffnet wurden, musste der Kammerjäger die gesamte Etage evakuieren und Ellison bekam sein Recht.

Der kleinwüchsige Schriftsteller war bekannt für seine Streitfreudigkeit. Mit Filmleuten, die sich seiner Ideen bedienten, wie z. B. James Cameron, machte er ohne lange zu fackeln kurzen Prozess: »Wer seine Hand in meine Tasche steckt, muss damit rechnen, einen blutigen Stumpf herauszuziehen.« Dass er vor Gericht zog, hätte man ihm in Hollywood vielleicht noch verziehen. Nicht jedoch, dass er sich danach in Talk Shows über seine Gegner lustig machte. Das ist wahrscheinlich ein Grund, warum Ellison nie den Erfolg bekam, den er eigentlich verdient hätte.

Trotzdem stolpert man ständig über ihn, wenn man sich mit der amerikanischen Popkultur auseinandersetzt. In Gay Taleses stilprägender Reportage »Frank Sinatra ist erkältet« (1966) spielt Ellison eine zentrale Rolle. Sinatra – von der Midlifekrise und einer Erkältung gebeutelt – will seinen Frust an einen unkonventionell gekleideten jungen Mann am Billardtisch eines angesagten Nachtclubs auslassen. Doch der junge Ellison denkt nicht daran sich herumschubsen zu lassen.

Ellison hat zwar nie eine Autobiografie geschrieben, doch seine Vorwörter (die oft so lang waren wie seine Kurzgeschichten) sind fast immer mit unterhaltsamen Anekdoten durchsetzt. In »Harlan Ellison’s Watching« beschreibt er, wie er als junger Nobody in den besagten Nachtclub kam.

Ein weiterer Grund, warum Ellison nie den Bestsellerstatus eines Stephen King erreichte, ist die immense Vielfalt seiner Geschichten. Das Massenpublikum mag es, wenn man einem Stil treu bleibt. Ellison dagegen hat sich nie festnageln lassen.

Neben etlichen Kurzgeschichten, Kolumnen, Essays und Filmkritiken hat er immer wieder Drehbücher fürs Fernsehen geschrieben. Als er nach Hollywood kam, riet ihn ein väterlicher Freund: »Höre nie mit den Büchern auf. Wenn Du nur Drehbücher schreibst, bist Du für die Produzenten bloß eine Hure, wie alle anderen. Wenn Du jedoch richtige Bücher veröffentlichst, halten sie Dich für einen verzauberten Prinzen.«

Mitte der 60er sah es eine Zeit lang aus, als hätte es Ellison geschafft. Nach ein paar hochgelobten Fernsehdrehbüchern durfte er das Script zur Großproduktion »The Oscar« schreiben. Der Streifen war ein kolossaler Flop. Danach war seine Filmkarriere so gut wie beendet.

Als Schriftsteller dagegen hatte er seine besten Jahre. Die Kurzgeschichte »›Repent, Harlequin!‹ said the Ticktockman« machte ihn zum gefragten Science Fiction-Autor – ein Label, das er zeitlebens hasste. Er war das Sinnbild des Angry Young Man, der sein Talent nutzte, um die Ungerechtigkeiten dieser Welt anzuprangern. Er marschierte mit Martin Luther King, demonstrierte gegen Vietnam, setzte sich für die Frauenbewegung ein. Ein Kind seiner Zeit eben.

Ellisons Vorträge an Universitäten waren stets ausverkauft. Die Auftritte glichen mehr der Bühnenshow eines Stand Up Comedians als einer Lesung. Er nahm es verbal mit jedem auf. Wer Zeit hat, sollte sich die Mühe machen ein Gespräch mit Robin Williams zu finden, das vor vielen Jahren als Audiobook erschien. Ellison war einer der wenigen, der Williams ohne große Mühe an die Wand quatschen konnte.

Trotz aller Erfolge konnte er nie ein Massenpublikum erreichen. Er hatte wohl einfach zu viele Ecken und Kanten, zu viele Prinzipien, zu viele polarisierende Ansichten. Vor allem aber biss er zu oft die Hand, die ihn fütterte. In einem Zeitalter der Konformität war er etwas aus der Mode gekommen.

Es ist traurig, wenn das Gros der Nachrufschreiber nun hauptsächlich seine Verdienste als Drehbuchschreiber würdigt. Sein Originaldrehbuch zu einer »Star Trek«-Folge war zwar preisgekrönt, wurde aber vor dem Dreh massiv umgeschrieben. Der Film »A Boy and his Dog« dagegen endet mit einem mysogynistischen, Schenkelklopfer, der nicht im Sinne Ellisons war. Harlan Ellisons Hauptwerk sind die unzähligen Kurzgeschichten, die er hinterlässt. Mir persönlich gefiel besonders seine Sammlung »Love Ain’t Nothing But Sex Misspelled«. Der letzte Kurzgeschichtenband »Can & Can’tankerous« erschien 2016.

Nachdem der Autor in Deutschland jahrzehntelang vernachlässigt wurde, brachte Heyne 2014 mit »Ich muss schreien und habe keinen Mund: Erzählungen« einen massiven Ellison-Sampler heraus. Es hätte jedoch eines Harry Rowohlt bedurft, um die Texte kongenial zu übersetzen. Daher sollte man um dieses Buch lieber einen großen Bogen machen.

Das Alter ist eine furchtbare Heimsuchung; besonders für diejenigen, die sich nie von ihrer Kindheit verabschiedet haben, wie Ellison. Depressionen und ein Schlaganfall überschatteten seine letzten Jahre. Als er 27. Juni 2018 im Alter von 84 Jahren starb, war seine Frau Susan (»Die einzige, die es länger als zwei Stunden mit mir aushält, ohne schreiend davonzulaufen.«) an seiner Seite.

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Foto: Andreas Zwengel