Einmal. Nur ein einziges Mal bin ich mit ihr ins Bett gegangen. Seit elf Jahren befreundet – davor und danach -, und doch war es nur so ein Augenblick, einer dieser verrückten Momente: Wir zwei verbrachten Silvester zusammen, mit ein paar geliehenen Videos von den Marx Brothers, damit wir nicht mit einem Haufen von Idioten ausgehen mussten, nur um Lärm zu machen und so zu tun, als hätten wir Spaß, während wir uns bloß vollaufen ließen, rumbrüllten wie die Geisteskranken und uns am Ende auf vorbeiziehende Fremde erbrachen und schließlich mehr Geld unter die Leute brachten, als wir eigentlich besaßen. Wir hatten ein bisschen zu viel billigen Champagner getrunken; wir sind ein paarmal zu oft von der Couch gefallen, als wir über Harpo lachten; und irgendwann lagen wir dann zusammen auf dem Boden, und als nächstes hingen dann unsere Gesichter aneinander, meine Hand unter ihrem Rock und ihre Hand in meiner Hose …
»Mephisto in Onyx« handelt von Rudy Paris, der die Fähigkeit besitzt, die Gedanken anderer Menschen zu lesen. Er wird von seiner Jugendliebe Allison gebeten, den mutmaßlichen Serienkiller Henry Lake Spanning in der Todeszelle zu besuchen, um die Wahrheit über seine Taten zu erfahren. Allison ist Staatsanwältin und hat sich entgegen aller Vernunft in Spanning verliebt. Rudy erfüllt ihr nur widerwillig diesen Wunsch, denn er liebt sie immer noch. Als er Spanning im Hochsicherheitstrakt gegenübersteht, erlebt er eine verhängnisvolle Überraschung.
Wenn man nach einer knappen Stunde Lesezeit das Buch und den Mund schließt, ist einem schwindelig von den zahlreichen überraschenden Wendungen, die diese kurze Geschichte nimmt. Sie ist zu keiner Zeit vorhersehbar und das passiert einem als Leser leider immer seltener. Jedes Mal, wenn man denkt, wow, was für eine phantastische Schlusspointe, reißt der Autor das Ruder noch einmal herum und legt einen weiteren außergewöhnlichen Clou nach. Ich kann nicht mehr sagen, wie oft ich diese Geschichte in den letzten zehn Jahren gelesen habe, aber sie begeistert mich immer wieder.
Harlan Ellison ist eine Legende, doch sein auf Deutsch veröffentlichtes Werk ist leider immer noch recht überschaubar. Er hat unzählige Kurzgeschichten geschrieben, Drehbücher für »Star Trek« und »Twilight Zone« und war der Herausgeber von »Dangerous Visions«, einer der wegweisendsten SF-Anthologien aller Zeiten. Viele seiner Kurzgeschichten zählen heute zu den Klassikern der Horror- und Science-Fiction-Literatur, zahlreiche wurden verfilmt oder als Comic veröffentlicht.
Das Titelbild stammt von Frank Miller, der inzwischen durch »Sin City« und »300« längst kein Geheimtipp mehr ist und auch das Vorwort verfasst hat. Mindestens genauso fesselnd wie die Geschichte selbst sind die Informationen über Ellisons Leben im Nachwort von Sky Nonhoff. Darin werden höchst amüsant die Stationen im Leben des Kultautors und Provokateurs beschrieben.
Leider ist das Buch nur noch antiquarisch erhältlich, aber die Suche danach lohnt sich.
Harlan Ellison: Mephisto in Onyx | Deutsch von Thomas Tebbe
Goldmann 1995 | 128 Seiten | Nur noch antiquarisch erhältlich.