Harlan Coben: Was im Dunkeln liegtIm Alter von etwa vierzig bis zweiundvierzig Jahren – er wusste nicht genau, wie alt er war – fand Wilde endlich seinen Vater. Wilde hatte seinen Vater nie kennengelernt. Oder seine Mutter. Oder sonst einen Verwandten. Er kannte ihre Namen nicht, wusste nicht, wann und wo er geboren wurde, und wie er als sehr kleines Kind allein im Wald der Ramapo Mountains gelandet war und sich selbst versorgt hatte. Jetzt, etwa drei Jahrzehnte, nachdem er als kleiner Junge »gerettet« wurde – »AUSGESETZT UND VERWILDERT!« lautete eine Schlagzeile, »EIN MODERNER MOGLI!«, schrie eine andere –, war Wilde keine zwanzig Meter von einem Blutsverwandten und vielen noch unbekannten Antworten auf seine mysteriöse Herkunft entfernt.

Der zweite Band der Reihe um Wilde, den Privatdetektiv, der im Wald haust. In »Der Junge aus dem Wald« kam Wilde auf die Spur seiner Vergangenheit und so trifft er nun seinen leiblichen Vater. Der hat inzwischen eine Familie mit Kindern und Enkelkindern. Die Identität seiner Mutter kann ihm der Vater allerdings auch nicht mitteilen, da die Zeugung in einer wilden Phase seiner Militärzeit stattgefunden haben soll.

Gefunden hat Wilde ihn über eine Online-Suchseite, die aufgrund einer DNA-Probe Verwandte ermittelt. Dabei stößt er auf die Identität einer anderen Person, die sein Halbbruder sein könnte: Peter Benett war einst Star einer Reality-TV-Show, bis er seine Frau betrog, die er in der Show kennengelernt und auch dort geheiratet hatte. Er erntete für seine Tat einen gewaltigen Shitstorm in den sozialen Medien und verschwand. Viele befürchten seitdem, er könnte sich das Leben genommen haben. Kurz darauf geschieht der Mord an einem Troll, der im Netz anonym unschuldige Menschen terrorisiert hat. Und Wilde wird zum Hauptverdächtigen.

Bei »Was im Dunkeln liegt« handelt sich um eine Fortsetzung, die ohne den Vorgänger nicht gut funktioniert. Der Leser bekommt zwar alle Zusammenhänge ausreichend erklärt, aber der größte Teil der Figuren wurde bereits im ersten Band vorgestellt. Deshalb lohnt es sich mit dem ersten Band zu beginnen.

Es könnte zum Konzept der Reihe werden, dass Wilde in jedem neuen Roman einen weiteren Verwandten aufspürt, der zufällig ein Problem hat, das es zu lösen gilt. Aber eigentlich wird dieser Aspekt bereits in diesem Band dermaßen auf die Spitze getrieben, dass die Luft raus ist. Die Verwandtschaftsverhältnisse werden im Laufe der Handlung immer verzwickter und gegen Ende so verworren, dass sich selbst die Figuren darüber beklagen. Coben legt so viele falsche Fährten, dass es schwer ist, den Überblick zu behalten und man wartet nur noch auf die Zusammenfassung des Detektivs, um alles zu verstehen. Aber wirklich spannend ist das nicht.

Viel interessanter ist der Roman dort, wo es um Scripted-Reality-Shows, Hetze in den sozialen Medien und den flüchtigen Ruhm von B-Promis geht. Diese Stellen haben mir am besten gefallen, aber sie sind leider viel zu selten. Der Roman bietet zwar solide Unterhaltung, aber es ist eines seiner schwächeren Bücher. Und das zweite in Folge.

Bei der Gelegenheit muss ich noch eine Lesewarnung für die ersten beiden Romane von Harlan Coben aussprechen, die nachträglich auf Deutsch veröffentlicht wurden. »Honeymoon« und »Totgesagt« weisen bereits die Themen und Stilmittel auf, die der Autor bis heute nutzt, aber deren Handhabung funktioniert noch nicht so gut. Besonders das Beschwören von Gefühlen und das lockere Geplänkel zwischen den Figuren sind hölzern bis peinlich und nerven durchgehend. Ich musste feststellen, dass sich dieser Eindruck sogar auf die aktuelle Lektüre auswirkt.

Wer es als Coben-Fan schafft, sollte auf diese Enttäuschungen verzichten. Aber ich bin natürlich selbst auch der Neugier erlegen.

Harlan Coben: Was im Dunkeln liegt | Deutsch von Gunnar Kwisinski
Gelesen von Detlef Bierstedt & Gabriele Blum | Dauer: 9:45 Std.
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Taschenbuch:
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