David Mitchell: Slade HouseDie Worte der Reporterin sind wie zäher Sprachkleister. Vermisst? Seit fünf Tagen? Seit Samstag? Es ist doch erst Samstag! Ich bin erst seit einer Stunde im Slade House. Es muss sich um eine andere Sally Timms handeln. Aber die Person auf dem riesigen Foto, das gerade eingeblendet wird, bin ich, ganz eindeutig, und die Sally Timms im Fernsehen hat genau dieselben Sachen an wie ich heute. Wer hat dieses Foto gemacht? Wann? Wo?

1979 besucht der dreizehnjährige Nathan Bishop mit seiner Mutter das Stadthaus von Lady Grayer. Dort lernt er Jonah kennen, den gleichaltrigen Sohn der Gastgeberin. Gemeinsam durchstreifen sie Garten und Haus, wo Nathan einige ungewöhnliche Entdeckungen macht. Darunter ein Gemälde von sich selbst, auf dem er ohne Augen abgebildet ist.

Neun Jahre später geht Detective Inspector Gordon Edmonds einem neuen Hinweis im Fall des verschwundenen Nathan Bishop nach und lernt dabei die reizende Bewohnerin des Slade House kennen.

Neun Jahre später …

Wie in vielen Büchern von David Mitchell besteht auch dieser Roman aus mehreren Kurzgeschichten, die gemeinsam eine Geschichte erzählen. In fünf Erzählungen berichten fünf Ich-Erzähler zu unterschiedlichen Zeiten (von 1979 bis 2015) von ihren Erlebnissen im Slade House. Mit jeder neuen Geschichte erhält der Lesen ein paar Puzzleteile mehr, um das Rätsel des Geisterhauses zu lösen.

Jede Erzählung für sich ist ein perfektes kleines Meisterwerk. Mitchell macht aus jedem der fünf Ich-Erzähler einen eigenständigen und überzeugenden Charakter. Der Tonfall und die Wortwahl sind Alter, Herkunft und Milieu perfekt angepasst. Wie immer gelingt es Mitchell, die unterschiedlichen Erzähler zu völlig eigenständigen Persönlichkeiten zu formen. Der dreizehnjährige Nathan bekommt dabei ebenso seine eigene Stimme wie der ruppige Polizist Gordon oder die Journalistin Sally. Was für ein brillanter Erzähler!

Aber nicht nur die Sprache ist einfach wundervoll, auch die komplexe Geschichte ist perfekt aufgebaut und spannend bis zum zur letzten Seite.

Wem »Die Knochenuhren« und »Der Wolkenatlas« gefallen haben, der wird ebenso viel Freude und Vergnügen an »Slade House« finden. Es ist auf jeden Fall eines der Buch-Highlights dieses Jahres. Lassen Sie sich nicht davon abschrecken, dass Sie normalerweise keine Geistergeschichten lesen. In diesem Buch wird jeder Leser auf die eine oder andere Art fündig.

David Mitchell: Slade House | Deutsch von Volker Oldenburg
Rowohlt 2018 | 240 Seiten | Leseprobe und mehr | Bestellen