Bruno Preisendörfer: Die Verwandlung der DingeZeitreisen mit Bruno Preisendörfer machen Spaß. In seinem neuen Buch »Die Verwandlung der Dinge« lädt er seine Leserinnen und Leser bereits zum dritten Mal in Folge zu einer solchen Reise ein. Nachdem er zunächst in einzigartiger Ausführlichkeit den Alltag der Goethezeit beleuchtet hat (2015) und kurz darauf als verwandtes Projekt dem Zeitalter der Reformation auf den Zahn fühlte (2017), ergründet er nun die Entwicklung von Alltagsgegenständen, die ein intimer Bestandteil unserer eigenen Biografie sind.

Konkreter: Es geht um die Entwicklung von Rechnern: von der Schiefertafel in den 1950er Jahren über Rechenschieber und Taschenrechner bis hin zum ultraflachen Tablet; um die Art und Weise, wie wir Filme, Musik und Nachrichten konsumieren bzw. aufnehmen, einst und heute: vom handlichen Kofferradio, von dem sich viele (auch Bruno Preisendörfer) noch immer in ihrer Küche berieseln lassen, bis hin zum MP3-Player, von der Langspielplatte mit wunderbar gestaltetem Cover und schnarrenden VHS-Videorekordern bis hin zum immateriellen Streaming; und schließlich auch um die Geschichte der modernen Telekommunikation: vom Münzfernsprecher bis hin zum Smartphone.

Zwangsläufig stapeln sich in Preisendörfers Buch die Momente des Wiedererkennens, jene meist wohlfühligen Augenblicke, in denen man – mal mehr, mal weniger überrascht – auf Selbsterlebtes, beinahe Vergessenes stößt und das eigene Kopfkino umgehend zu arbeiten beginnt. Vor allem für die Generation Ü40/Ü50.

Wer aus diesem Leserkreis erinnert sich z.B. nicht an die orangefarbenen Wählscheibentelefone in den späten Siebzigern (eine Leihgabe der Deutschen Bundespost, siehe Buchcover) … und damit zugleich an die blumenbemusterte Telefonbank im Hausflur. Oder an die einst existenzielle Frage selbstberufener HiFi-Spezialisten, ob man LPs nun nass oder doch eher trocken abspielen sollte. Oder an die legendären Mixed Tapes der 80er Jahre und das erhabene Gefühl, sie mittels Walkman sogar während eines Spaziergangs durch die Feldmark hören zu können. Oder, oder, oder. In diesem Sinne ist Preisendörfers Reise auf jeder Seite eine Reise in die eigene Vergangenheit.

Doch das allein macht das Buch noch nicht lesenswert. Denn derlei Literatur mit hohem Nostalgie-Faktor oder Wiedererkennungswert gibt es reichlich. (Selbst der Verfasser dieses Blogartikels hat sich als Kerl im Klimakterium schon daran versucht.) Es ist der sympathisch intellektuelle, mit viel Selbstironie verpackte Erzählton, der Preisendörfers Rückblick auf die Technik der letzten Jahrzehnte von anderen Retrospektiven unterscheidet.

Trotz Jahrgang 1957 gehört der Schriftsteller nicht zu jener Fraktion, die stur behauptet, dass früher alles oder zumindest vieles besser gewesen sei. Im Gegenteil: Neuen technischen Errungenschaften steht er aufgeschlossen und neugierig gegenüber. Andererseits ist er alles andere als ein Early Adopter, sondern widmet sich neuester Technik oft mit bequemer Zurückhaltung, soll heißen: mit ein paar Jahren Verspätung. Auch darin wird sich ein großes Publikum wiederfinden.

  1. Alles, was es schon gibt, wenn du auf die Welt kommst, ist normal und üblich und gehört zum selbstverständlichen Funktionieren der Welt dazu.
  2. Alles, was zwischen deinem 15. und 35. Lebensjahr erfunden wird, ist neu, aufregend und revolutionär.
  3. Alles, was nach deinem 35. Lebensjahr erfunden wird, richtet sich gegen die natürliche Ordnung der Dinge.

Dieses bekannte Zitat von Douglas Adams hat Preisendörfer seiner neuesten Zeitreise vorangestellt. Wohl auch als Ermahnung an sich selbst. Ein Eindruck, den nicht nur sein Buch hinterlässt, sondern auch seine öffentlichen Auftritte.

Preisendörfer am 8. Mai in Braunschweig.

In den kommenden Wochen und Monaten gibt es noch mehrere davon: am 25. Juni in Osnabrück (Blue Note im Cinema Arthouse), am 26. Juni in Detmold (Augustinum), am 27. Juni in Erfurt (Buchhandlung Peterknecht), am 12. Juli in Lübbecke (StadtLesen Festival) und am 25. September in Bensheim (Lesefestival).

Oder man schaltet am 14. Oktober 2018 das alte Kofferadio in der Küche ein (Achtung, Empfang mit einem solchen Gerät nur in Norddeutschland!), wenn zur Frankfurter Buchmesse die am 8. Mai in Braunschweig aufgezeichnete, von Jan Ehlert moderierte Lesung Bruno Preisendörfers auf NDR Kultur ausgestrahlt wird.

Bruno Preisendörfer: Die Verwandlung der Dinge | Deutsch
Galiani Berlin 2018 | 265 Seiten | Leseprobe und mehr | Bestellen