»Ich konnte Tschick von Anfang an nicht leiden. Keiner konnte ihn leiden. Tschick war ein Asi, und genau so sah er auch aus.«
Im Laufe eines Lebens begegnen der Leseratte die unterschiedlichsten literarischen Figuren. Manche trifft sie nur auf ein kurzes Intermezzo. Einige begleiten den Bibliomanen länger oder er sieht sie buchstäblich immer wieder. Solche Helden sind wandlungsfähig, scheinen sich zu verjüngen und reisen zeitlos durch die Jahrhunderte. Sie provozieren Sympathie, stehen für einen Typen oder lassen den Leser angewidert das Buch aus der Hand legen, leiden oder jubilieren. Um Einzelne windet sich der Bücherwurm lange Zeit herum, weil sie dauerhaft zu omnipräsent erscheinen (Theaterbühne, Oper, Leinwand).
Irgendwann erwischen sie den Vielleser doch. Spätestens, wenn die Büchergilde Gutenberg ihren Gestalter-Preis auslobt, wo eine Hochschulklasse die Gelegenheit bekommt, Illustrationen für ein belletristisches Werk zu entwickeln. In diesem Jahr fiel die Wahl auf Laura Olschok vom Fachbereich Gestaltung der Fachhochschule Bielefeld. Sie illustrierte Wolfgang Herrndorfs Roman »Tschick«. Der Kultroman im neuen Gewand!
Der Leser hält nun ein illustriertes Reisetagebuch in den Händen. Die Welt, die Maik Klingenberg und Andrej Tschichatschow, alias Tschick, mit dem blauen Lada Nova entdecken, ist häufig bizarr, düster und unvorhersehbar. Feine schwarz-weiße Striche spüren den verzwickten Wegen und Erlebnissen dieses einzigartigen Roadtrips nach. Die bedeutungsvollen Augenblicke taucht Laura Olschok in eine Farbe und bringt damit sprichwörtlich Licht in das vorherrschende Dunkel ihrer Zeichnungen. Die kommen hier klar und minimalistisch daher, dort strotzen sie nur so vor Detailverliebtheit. Auf manchen der insgesamt 22 Illustrationen wimmelt es förmlich, und der Betrachter scheint sich darin zu verlieren.
Der Leser fühlt mit Maik, erahnt den Schmerz seiner Beinverletzung (dünne rote Striche, den Fuß ergänzt die Vorstellungskraft). Herrlich die stilisierte Schneise im Weizenfeld, die das Ausmaß der Verwüstung dennoch erahnen lässt … und von oben regnet es tatsächlich (hellblaue) Strippen. Die Müllhalde wird zur wahren Fundgrube. Wer es schafft, seine Aufmerksamkeit vom roten Schlauch wegzulocken, entdeckt gar den ausrangierten Star-Wars-Roboter. Laura Olschoks ausgefallene Perspektiven bieten der eigenen Phantasie viel Platz. Wer den Kinofilm (noch) nicht gesehen hat, dem bleiben so ganz individuelle Bilder von den Protagonisten.
Doch nicht nur die tollen Illustrationen dieser Tschick-Ausgabe sind ein Hingucker. Buchgestalterin Cosima Schneider sorgte mit der gesamten Gestaltung für den einzigartigen Charakter des Buches. Die farbigen Betonungen aus den Illustrationen wiederholen sich an den Schnittkanten (rot, gelb, hellblau). Nimmt man die Grundfarbe vom Einband und dem Vorsatzpapier (schwarz) dazu, ergibt sich die Assoziation zur Deutschland-Fahne. Den Sommerferien-Himmel male man sich hellblau. Das schwarze Gummiband unterstreicht den Reisetagebuch-Charakter.
2015 gehörte »Tschick« zu den zehn meistverkauften Taschenbüchern. Die werden nach mehrmaligem Lesen unansehnlich. Das vorliegende Kleinod ist mindestens genauso handlich, strapazierbarer und viel schöner!
Wolfgang Herrndorf, Laura Olschok: Tschick | Deutsch
Edition Büchergilde 2016 | 288 Seiten | Jetzt bestellen