Ein Sprichwort besagt, dass man sich im Leben immer zweimal begegnet. Meine »Begegnungen« mit dem Zeichner und Karikaturisten Erich Ohser alias e.o. plauen ziehen sich wie ein roter Faden bis in die heutige Zeit. Vom Bücherschrank meiner Eltern mit dem großformatigen, dünnen Band voller faszinierender Bildgeschichten über »Vater und Sohn«, den letzten Bilderbogen der Büchergilde Gutenberg mit seinen achtundvierzig ausgewählten Streichen und Abenteuern der beiden o.g. Kultfiguren aus den 1930er Jahren bis hin zum neuesten Band derselben Verlagsgenossenschaft anlässlich ihres einhundertsten Geburtstages im August 2024.
Dieses aktuelle Buch legt den Fokus nicht nur auf Erich Ohser, sondern auch auf seine beiden Freunde mit demselben Vornamen: Erich Kästner und Erich Knauf. Unter dem Titel »Habt ein besseres Gedächtnis – Erich Kästner, Knauf, Ohser alias e. o. plauen – Die Geschichte einer Freundschaft« beleuchten die beiden Autoren Wolfgang Eckert und Jürgen Seul die innige Beziehung des Dreigestirns.
Die drei Erichs teilten ihre Lebensfreude ebenso wie ihre kritische Sicht auf die Welt, arbeiteten ehrgeizig und waren sehr erfolgreich. Bevor er zum Film wechselte, war Erich Knauf Cheflektor bei der Büchergilde Gutenberg. Erich Ohser wurde vor allem durch seine Vater-und-Sohn-Geschichten bekannt, Erich Kästner vornehmlich durch sein Kinderbuch »Emil und die Detektive«.
Wolfgang Eckert und Jürgen Seul haben beispielhaft recherchiert, zahlreiche Dokumente aufbereitet und persönliche Gespräche mit Angehörigen geführt. Besonders interessant ist, dass sich der in Meerane geborene Schriftsteller Wolfgang Eckert mit einer Sondergenehmigung des Schriftstellerverbandes der DDR bereits in den 1970er Jahren um den Nachlass von Erich Knauf bemühte. Das Buch spiegelt das lebendige Bild einer außergewöhnlichen Freundschaft wider. Eckert und Seul gehen den drei Schicksalswegen vor dem Hintergrund einer dunklen Zeit nach, beleuchten ihre Werke und konsequente Einstellung, die Knauf und Ohser am Ende mit dem Leben bezahlten.
Die Geschichte der drei Herren beginnt mit ihrem Kennenlernen in den 1920er Jahren. Knauf, der zu dieser Zeit bei der »Volks-Zeitung für das Vogtland« tätig war, lernte auf einer Ausstellung in Plauen den jungen Zeichner Erich Ohser kennen. Dieser traf ein Jahr später in einer Leipziger Redaktion den jungen Kästner, der sich wiederum über Ohser mit Erich Knauf anfreundete. Wie die drei Erichs zu engen Freunden wurden und privat wie beruflich bestens harmonierten, bereitet beim Lesen große Freude. Man hat das Gefühl, einem spannenden Roman zu folgen.
Alle drei waren ehrgeizig und ausdauernd, wollten mit ihrem wachen Blick Veränderndes und gleichzeitig Dauerhaftes schaffen. In ihren unterschiedlichen Ausdrucksformen (Zeichnen, Schreiben, Dichten) fand jeder seine eigene Formensprache. Es einten sie ihre schier unerschöpflichen Pointen, ihren Witz und ihre Ironie. Faszinierend, wie es ihnen mit ihrer rebellischen Art gelang, kurz und treffend zu formulieren oder mit einfachen und prägnanten Strichen zum Nachdenken anzuregen.
Erich Knauf gelang es als Büchergilde-Lektor, neue Akzente zu setzen und eine jüngere Generation von Schriftstellen an die Buchgemeinschaft zu binden. Schon Mitte der 1920er Jahre wurde Erich Kästner zum politischen Satiriker. Ohsers Zeichnungen charakterisierten ebenso auffällig wie humorvoll und später auch sarkastisch soziale Missstände. Etliche davon fanden sich in der von Knauf betreuten Büchergilde-Zeitschrift wieder.
Das all dies den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge war und mit welchen perfiden Mitteln die drei bekämpft wurden, wird von Wolfgang Eckert und Jürgen Seul so spannungsgeladen und authentisch nachgezeichnet, dass man das Buch am Stück auslesen möchte. Kalt und heiß zugleich wird einem, wenn man von der Besetzung des damaligen Sitzes der Büchergilde durch die SA und der wenig später folgenden Bücherverbrennung liest. Die Geschichte um die Hinrichtung von Erich Knauf ist genauso tragisch und unaushaltbar wie der Freitod von Erich Ohser. Akribisch zusammen getragene Fotos, Briefwechsel, Dialoge, Ausschnitte aus Büchern und andere Zeitdokumente lassen diesen Band zu einer wahren historischen Schatzgrube werden.
Auch gestaltungstechnisch hält man tatsächlich ein Kunstwerk in den Händen: Feinstes beigefarbenes Leinen mit schwarzer Schrift, Fadenheftung. Das dicke, überdimensionale »i« des Vornamens Erich ist absichtlich nach links gekippt. Dreht man das Buch, kommt es als Ausrufezeichen für den Titel daher. Der Punkt ist auffällig orange, so wie die Farbe des Vorsatzpapiers.
Das sorgt dafür, dass sich der Titel des Buches regelrecht eingräbt. »Habt ein besseres Gedächtnis« ist die letzte Zeile von Kästners Gedicht »Verdun, viele Jahre später«, das die vielen Toten der Schlacht von Verdun als Mahnung an die Nachwelt in den Mittelpunkt rückt. Ein zeitlos aktueller Klassiker insofern, dass man jeden anderen Kriegsort einsetzen könnte.
Für die Seitenzahlen des Buches wurden unterschiedliche Schriftarten verwendet – sehr originell. Das dezent hellgraue Lesebändchen rundet das bis ins Kleinste (mit sehr viel Liebe zum Detail) durchdachte Design von Cosima Schneider ab. Ein Sachbuch mit Sammlerwert, das man unbedingt lesen sollte!
Habt ein besseres Gedächtnis – Erich Kästner, Knauf, Ohser alias e. o. plauen – Die Geschichte einer Freundschaft | Deutsch
Büchergilde Gutenberg 2024 | 136 Seiten | Jetzt bestellen