Wolf Haas: Eigentum

So richtig ein Roman ist »Eigentum« nicht. Das zeichnet die Bücher des Österreichers Wolf Haas ja ohnehin aus, dass sie allesamt von gewöhnlicher Literatur abweichen, und auf »Eigentum« trifft dies noch mehr zu: Es scheint vielmehr eine Fingerübung zu sein, in Sprache, in Textstruktur, in Assoziation und in Psychologie. Die Freude an der Form überwiegt hier über die am Inhalt, da darf man sich keinen Illusionen hingeben. Aber Freude, die hat man bei der Lektüre dieses Buches durchaus, denn selbst Fingerübungen meistert Haas mit Bravour.

Wie viel Autobiographie in »Eigentum« wahrhaftig zu finden ist, ist für den Genuss des Buches zweitrangig. Obschon man dem Autoren wünscht, mit dem nahenden Tod seiner Mutter nicht ganz so abgeklärt umzugehen wie der Ich-Erzähler, der hier ebenfalls Wolf Haas heißt. Denn dieses anstehende Ableben seiner Mutter nimmt Erzähler Haas hier zum Anlass, ihre und seine eigene Biographie in Einklang zu bringen. So lässt er sie in ihrem Originalton zu Wort kommen, ebenso in Ich-Form verfasst wie die Gedanken des Erzählers, was anfänglich etwas verwirrt. Der will nun versuchen, ihre Geschichte abzubilden, bevor sie stirbt, und schreibt quasi gegen die Zeit an. Selbst daraus generiert Krimifachmensch Haas jedoch keine vordergründige Spannung, weil sein erzählerischer Schwerpunkt eben eher ein formaler ist. Man begleitet ihn also vorrangig beim Anwenden seiner Mittel und bekommt nebenbei etwas erzählt.

Wiederholung ist das Mittel, dass Haas hier elementar anwendet. Der Erzähler borgt es sich bei seiner Mutter aus, das macht er transparent; man bekommt gleich von ihm berichtet, dass sie fortwährend einzelne Aspekte zum Dreiklang wiederholte, und zusätzlich in den Originaltönen der Mutter eine Erzählweise kredenzt, die ohne Stringenz um die Bestandteile herumeiert, Fäden legt, verwirrt, wieder aufgreift und allmählich weit genug ausrollt, um ihnen folgen zu können. Der Ich-Haas selbst assoziiert um die Fäden der Mutter und seine eigenen Gedanken herum, die sich um sein Leben, seine Vergangenheit und seine Aufgaben drehen, und flicht so ein Netz aus wiederkehrenden Bildern, Motiven, Zitaten, das beinahe eine Art Schablone bildet, die man quasi über die Seiten des Buches legen kann und dann Deckungsgleichheiten ausmacht. Darin liegt die größtmögliche Kunst des Autoren: diese Muster im eigenen Erzählen überhaupt selbst auszumachen und sie erzählerisch zu verstärken und sinnvoll zu verbinden.

Sicherlich lässt Haas hier auch Humor zu, den schwarzen zuvorderst, angesichts des Themas nicht so verwunderlich, doch ist Humor nicht der Schwerpunkt von »Eigentum«, auch wenn man sich über die frechen, gleichmütigen Kommentare des Erzählers zu seiner Mutter mindestens wundert, wenn nicht gelegentlich über die lacht; die Frage, ob sein Verhalten angebracht ist, stellt sich der Erzähler selbst. Doch eigentlich ist ihre Geschichte eher tragisch: Beinahe stoisch scheint die Mutter durch ihr Leben marschiert zu sein, von familiärer Armut zu dem Willen befeuert, mit Fleiß aus dieser Armut zu entkommen, um – daher der Titel – endlich zu Eigentum zu gelangen, doch das gelingt ihr erst im Alter von über 90 Jahren, nämlich mit ihrer Grabstätte. Ernüchterndes Fazit eines so langen Lebens, und betrachtet man zudem die Wesenszüge der Mutter, die auf den Sohn abperlten, landet man im nächsten Abteil dieses Textes, nämlich der Psychologie, der Selbstreflexion. Auch hier wieder gibt es Muster zu erkennen, und zwar solche, die sich von der – etwa ständig jammernden – Mutter auf den Sohn übertrugen und die dessen Handeln bestimmen und ihm seine Schwächen erläutern.

Obschon das Formale hier den Schwerpunkt des Genusses ausmacht, lässt sich nicht von der Hand weisen, dass das Bisschen Handlung zu Herzen geht. Schließlich kam die Mutter zur Inflation 1923 zur Welt, verbrachte ihre Lehrjahre in der Schweiz, wurde zum Kriegsdienst nach Deutschland einberufen, half den alliierten Besatzern bei der Entnazifizierung und verlor ihren Mann viel zu früh. Zudem war sie mindestens ein streitbarer Geist, also im Dorf unbeliebt und entsprechend auf sich allein gestellt. Die Sache mit dem Rauswurf aus dem angeblichen Abbruchhaus, das dann zum Luxushotel wurde, ist ein Genickschlag, der den Gerechtigkeitssinn der Lesenden wachrüttelt. Dieses Haus nun stellte die Heimstatt des heranwachsenden Haas dar, direkt an dem Friedhof gelegen, auf dem die Mutter nun zu Grabe getragen wird; daran spinnt Haas weitere Seitenarme, die wiederum als vollendet konstruierte Zirkelschüsse fungieren.

Diese Wiederholungen nun tragen viele Überraschungen in sich, zumeist darin, an welcher Stelle sie auftreten und welchen Bezug sie nun nehmen, aber sie bergen auch Redundanz, Stillstand. Man hat bisweilen den Eindruck, erzählerisch nicht voranzukommen, weil Haas noch seinen Werkzeugkoffer ausschütteln muss. Aber so geht es eben zu bei hoher Literatur, da gehen Form und Inhalt idealerweise Hand in Hand, und falls es ein Ungleichgewicht zu Ungunsten des Inhalts geben sollte, macht dies die Freude an Haas‘ Fabulierkunst eben wett.

So ist »Eigentum« abseits der neunteiligen Brenner-Reihe, die eh einen komplett eigenen Tonfall hat – den Haas überdies mit seinen herausgelassenen Verben in »Eigentum« lediglich ein einziges Mal zur Anwendung bringt –, ein weiterer Haas’scher Literaturmonolith neben »Das Wetter vor 15 Jahren« und den anderen Nicht-Brennern. Er brennt ja trotzdem.

Wolf Haas: Eigentum | Deutsch
Penguin 2025 | 160 Seiten | Jetzt bestellen