Aber dann hat er die Tabletten nicht genommen, weil nicht nur Arzt- sondern auch Tablettenmuffel. Und erst wie die Freundin dann endgültig weg war, und wie dann der Kühlschrank eines Tages vollkommen leer war, und auch die anderen Schubladen, also Dosen und so weiter, Nudeln, Reis, alles leer, also wie dann nur mehr die Tabletten da waren, da hat er die Tabletten gegessen. Und seither wie ausgewechselt! Mehr das Positive!
Wenn ein Autor seiner Serie überdrüssig ist, lässt er nicht selten seinen Helden sterben, um damit einen Schlussstrich zu setzen. So erging es wohl auch Wolf Haas. Aber interessant, denn er ließ im Vorgängerband »Das ewige Leben« nicht seine Hauptfigur Brenner sterben, sondern den namenlosen Erzähler, der die Geschehnisse recht eigenwillig aus dem Off kommentierte. Nun sind sie beide wieder da. Jetzt wie macht der das? Pass auf. Der Haas rechtfertigt alles lapidar durch den ersten Satz des Romans: Meine Großmutter hat immer zu mir gesagt, wenn du einmal stirbst, muss man das Maul extra erschlagen.
Der Brenner hat jetzt einen Job als Chauffeur für die zweijährige Tochter eines Baulöwen und einer Abtreibungsärztin. Bei einem vermeidbaren Zwischenhalt an einer Tankstelle verschwindet das Kind spurlos. Der Hauch von Story, der bei Filmen wie »Man on fire« oder »Transporter 2« als Ausgangslage für ein wildes Actionfeuerwerk diente, führt bei Haas zu einem eher gemächlichen Glimmen:
»Und das Auto war zugesperrt?«, hat der Peinhaupt seelenruhig gesagt und ihn blöd angeschaut, so wie man als Mann eine Frau anschaut, zu der man zum dritten Mal sagt: Und du bist dir ganz sicher, dass wir lieber zu mir als zu dir gehen sollen, obwohl sie schon zweimal gesagt hat, lass mich in Ruhe du Arsch.
Der Herr Simon war sich ehrlich gesagt nicht sicher, ob das Auto, bevor er es tausendmal auf- und zugesperrt hat, ganz am Anfang zu war. Aber Auto offen oder zu, das macht für einen Kriminellen ungefähr so einen Unterschied wie für eine Pistolenkugel die Frage, welchen Schutzfaktor die Sonnencreme hat, an der sie auf dem Weg in deine Stirn vorbeikommt.
Hauptverdächtige sind die Abtreibungsgegner, die vor der Klinik der Mutter demonstrieren. Doch deren Anführer Knoll beauftragt Brenner seinerseits mit der Suche nach einem zwölfjährigen Mädchen. Und schon bald stolpert er über die ersten Leichen.
Die Brenner-Romane von Wolf Haas sind ein eigenwilliges Erlebnis, garantiert nicht jedermanns Geschmack und auf ihre Art einzigartig. Die Handlung wird gnadenlos dem Stil untergeordnet, so auch im vorliegenden Band: »Der Brenner und der liebe Gott« strotzt vor hanebüchenen Wendungen und absurden Verwicklungen, wer einen klassischen Krimi erwartet, ist hier falsch. Das Geschehen widerspricht allen Gesetzen der Logik und wird häufig vom Zufall diktiert, doch es schert einen keine Sekunde, zu köstlich ist doch die Weltsicht des Erzählers und die stoische Geduld des Brenners.
Wenn Letzterer auf dem Boden einer Senkgrube den lieben Gott trifft, wird die Krimihandlung vollends zur Nebensächlichkeit. Trotzdem klagt der Erzähler persönlich, wenn er das Gefühl hat, dass der Brenner von den offiziellen Stellen zu wenig Anerkennung für seine Arbeit erhalten hat: Ich muss sagen, großartig, wie der Brenner die Suche nach dem Jugomädchen eingeleitet hat. Nach der Sunny. Da ist er zu einer detektivischen Hochform aufgelaufen, wo man nur sagen kann, Hut ab.
Drei Brenner-Romane wurden bereits erfolgreich mit dem herausragenden Josef Hader verfilmt: »Komm, süßer Tod«, »Silentium« und »Der Knochenmann«. An dieser Stelle sei auch die CD »Brenner live« gleich mit empfohlen.
Wolf Haas: Der Brenner und der liebe Gott | Deutsch
Hoffmann und Campe 2009 | 224 Seiten | Jetzt bestellen