Volker Schlöndorff: Licht, Schatten und BewegungEs gibt Bücher, von denen man fürs Leben lernen kann. Weisheitsliteratur nannte Bestsellerautorin Erica Jong so was. Hier meine Lehre aus »Licht, Schatten und Bewegung«:

Wenn ein Mann von kleiner Statur ist und schon ganz früh keine Haare mehr auf dem Kopf hat, sollte er besser Filmregisseur werden, wie Volker Schlöndorff. In seiner erstaunlich offenherzigen Autobiografie berichtet er über seine sexuellen Abgründe oder vielmehr lamentiert er erst mal über deren Abwesenheit. Doch keine Angst: »Time is on his Side«, wie sein alter Kumpel Mick Jagger singen würde.

Wir schreiben die 50er Jahre, als der junge Schlöndorff als Student »La Grande Nation« sowie deren Frauen und Filme kennen und lieben lernt. Irgendwie schafft er es sich als Assistent für die Kultregisseure Jean-Pierre Melville und Louis Malle zu verdingen. Das Filmfieber hat ihn völlig im Griff. Doch der kleine germanische Brillenträger passt so gar nicht in die Glitzerwelt des französischen Films. Genauso unspektakulär wie seine Erscheinung gestalten sich daher auch die Beziehungen zum anderen Geschlecht.

Als er begreift, dass er nur in seiner Heimat eine eigene Identität entwickeln kann, kehrt er rechtzeitig zur Geburtsstunde des neuen Deutschen Films zurück, um »Der junge Törless« (1966) zu drehen, seinen ersten Film als Regisseur. Schlöndorf wird fast über Nacht zum etablierten Künstler und Womanizer, der zwar mit der aufbegehrenden Linken sympathisiert, doch auch das süße Leben in der Toscana genießt. Liebes- und Arbeitsbeziehung mit Margarethe von Trotta.

Ihre Böll-Verfilmung »Die verlorene Ehre der Katharina Blum« (1975) erregt nationales Aufsehen. Sein Oscar für »Die Blechtrommel« (1979) bringt sein Dasein erneut in Unordnung. Eine holperige Karriere in Hollywood und hausgemachte Beziehungskrisen folgen. Was der junge Volker in seinen frühen Jahren versäumte, holt der ältere Volker – im Überschwang der Midlife-Kise – tüchtig nach. Einige Irrungen und Wirrungen später treffen wir den gereiften Regisseur im inzwischen wiedervereinigten Deutschland an, wo er die maroden DEFA-Studios in Babelsberg sanieren wird.

Es gibt im Grunde nur drei Arten von Biografien: Die von Menschen, die sich vom Leben treiben lassen, von Menschen, die ihr Leben an die Wand gefahren haben und von jenen, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Schlöndorff gehört klar zur letzten Kategorie. Von allen »Filmemachern« des Neuen Deutschen Films hatte er nur ganz wenige Fehlschläge zu verbuchen. Wer sein Buch liest, begreift auch wieso.

Schlöndorff lebte anders als seine damaligen Kollegen nie im Elfenbeinturm einer verklausulierten Gedankenwelt, sondern in der Realität. Und dieses Leben war ihm manchmal sogar wichtiger als seine Kunst. Nicht jedes seiner Drehbücher war mit Herzblut geschrieben, doch was bedeutet das schon? Wie nur ganz Wenige ist er nicht bloß Künstler, sondern auch Lebensküntler. Beneidenswert.

Schlöndorff war in seinem Leben stets zur rechten Zeit am richtigen Ort. Aber eben nie aus purem Zufall, sondern aus einem sicheren Instinkt heraus. Er ist wie kein Zweiter ein Kind seiner Zeit. Oder vielmehr des gerade herrschenden Zeitgeists. Gerade die vielen Wendungen und Irrwege machen seine Erinnerungen lesenswert. Vielleicht sogar inspirierend. Besonders, wenn man ein kleiner haarloser Mann ist.

Volker Schlöndorff: Licht, Schatten und Bewegung | Deutsch
dtv 2011 | 496 Seiten | Jetzt bestellen