Vikas Swarup: Immer wieder GandhiNicht alle Tode sind gleich, und selbst für Mord gilt das Kastenwesen. Wird ein armer Rikschafahrer abgestochen, ist das nur etwas für die Statistik, eine Meldung, die irgendwo im hinteren Teil der Zeitung verschwindet. Der Mord an einem Prominenten aber macht sofort Schlagzeilen, denn die Reichen und Berühmten werden selten umgebracht. Sie führen ein Fünf-Sterne-Leben und sterben, wenn nicht an einer Überdosis Kokain oder durch irgendeinen verrückten Unfall, meist auch einen Fünf-Sterne-Tod, glücklich ergraut in hohem Alter, allerdings nicht ohne zuvor die eigene Sippe samt dazugehörigen Vermögen kräftig vermehrt zu haben.

Der Unternehmer Vicky Rai, der sich bei seinen Machenschaften gerne Gangstermethoden bedient, hatte eine Kellnerin erschossen, weil sie ihm nach Beginn der Sperrstunde einen Drink verweigerte. Sein politischer Einfluss verhalf ihm zum Freispruch. Auf dem rauschenden Fest zu diesem Anlass wird er erschossen.

Man verhaftet sechs bewaffnete Verdächtige: den texanischen Gabelstaplerfahrer Larry, der von Heiratsschwindlern geprellt und nach Indien gelockt wurde; Handy-Dieb Munna, der sich in ein Mädchen aus der Oberschicht verliebt hat; den korrupten Politiker Mohan, der nach einer Fernseh-Seance vom Geist Mahatma Gandhis besessen ist; Eketi, der den heiligen Stein seines Dorfes sucht; die Bollywood-Schauspielerin Shabnam und, nicht zuletzt, Vicky Rais eigener Vater.

Der Enthüllungsjournalist Arun Advani erforscht die Geschichten dieser sechs Verdächtigen und findet heraus, dass jeder von ihnen einen triftigen Grund hatte, Vicky Rai zu töten.

Das Buch erzählt die Vorgeschichte jedes der sechs Verdächtigen und damit einen Querschnitt durch die indische Gesellschaft. Der Autor nutzt sein breitgefächertes Figurenrepertoire, um eine Vielzahl der gesellschaftlichen Probleme anzuschneiden. Das Land wird als Schmelztiegel aus Religion, Korruption, Bollywood, Bräuchen, Armut, Kastenwesen und Verbrechen geschildert.

Die Ausgrenzung von ethnischen Gruppen wird genauso angeprangert, wie die strikte Trennung sozialer Schichten und der Umgang mit Frauen. Trotz vieler bedrückender Themen nutzt das Buch die gesamte Gefühlspalette. Die einzelnen Handlungsstränge sind unterhaltend, kurzweilig, mal heiter, mal spannend und oft anrührend. Der Leser wird immer wieder überrascht, durch welche Verwicklungen und schwindelerregenden Ereignisse die Motive der Figuren entstehen.

Der erste Roman des Autors Vikas Swarup wurde unter dem Titel »Slumdog Millionaire« verfilmt und gewann acht Oscars. Wer von diesem Film begeistert war, wird auch von »Immer wieder Gandhi« bestens unterhalten. Ein Schmöker, dessen Aufbau die Spannung und Faszination bis zum Ende nicht abreißen lässt, und der uns wieder daran erinnert, warum wir das Lesen lieben.

Vikas Swarup: Immer wieder Gandhi | Deutsch von Bernhard Robben
Kiepenheuer & Witsch 2010 | 622 Seiten | Jetzt bestellen