Tom Franklin: Die GefürchtetenDer Sheriff von Clarke County, Billy Waite, saß auf der Veranda vor seinem Haus und schälte einen großen grünen Apfel. Vor ihm auf dem Geländer lag eine dicke qualmende Havanna-Zigarre, daneben hatte er seine großen schmerzenden Füße hochgelegt. In den Spitzen der gewienerten Stiefel spiegelte sich der leuchtend weiße Mond. Am anderen Ende der Veranda quietschten beruhigend die Ketten einer Schaukel. Die Zeit spätabends war ihm am liebsten. Wenn seine Frau schon schlief und er endlich allein war.

1897 wird in Alabama ein angehender Politiker bei einem Überfall versehentlich erschossen. Der Mord heizt die ohnehin angespannte Atmosphäre in der Gegend noch an. Fronten bilden sich zwischen den Städtern und der Landbevölkerung. Die armen Landpächter leben trotz harter Knochenarbeit der gesamten Familie am Existenzminimum und schauen neidisch auf die vermeintlich reichen Städter. Die Freunde und Verwandte des Ermordeten, meist verarmte Farmer, gründen zu ihrem Schutz einen Geheimbund. Doch diese Gruppe beginnt schnell, die gesamte Gegend zu terrorisieren. Wer sich den Vigilanten nicht anschließen will, wird gnadenlos von einem Land vertrieben. Auch vor Mord schreckt man bald nicht mehr zurück. Die Städter engagieren einen eigenen Revolvermann, der sich als psychopathischer Killer entpuppt und bei seinen Opfern nicht wählerisch ist. Ein alter Sheriff, der eigentlich nur noch seinen baldigen Ruhestand genießen möchte, wird immer tiefer in diesen drohenden Bürgerkrieg verstrickt und muss schließlich Stellung beziehen.

Die Geschichte soll auf tatsächlichen Begebenheiten beruhen, und die Existenz der Hell-at-the-Breech-Bande sei historisch verbürgt. Wie frei hier mit den Fakten gearbeitet wurde, ist schwer zu beurteilen, aber das deprimierende Alltagsleben, die Armut und die Angst, in der die Menschen ständig leben, wird so bedrückend geschildert, dass man häufig kräftig schlucken muss. Der Schnaps fließt in diesem Buch zwar in Strömen, aber nur ganz selten zum Genuss, öfter zur Betäubung und um das eigene Schicksal ertragen zu können.

Alfred erzählte Mack, wie ihre Mutter zwischen den Baumwollpflanzen zusammengebrochen war, wie Floyd gemerkt hatte, dass sie nicht mehr arbeitete, zu ihr hingestapft war und auf sie heruntergeschaut hatte; wie er sich hingekniet, eine Hand auf ihre Brust gelegt und dann ein Ohr an ihre Lippen gehalten hatte, als könne sie ihm das Geheimnis verraten, wie man von hier verschwände. … Als es dunkel wurde, Floyd seinen letzten Beutel ausgeleert und seinen Söhnen bei ihren letzten geholfen hatte, ging er schließlich zu ihr, hob sie auf und trug sie ins Haus. Im Haus zog er ihr das andere Kleid an, das weiße, in dem sie geheiratet hatte, wusch ihr den Dreck von Gesicht, Händen, Ellenbogen und Füßen. Dann ging er hinters Haus, grub ein Loch, legte sie hinein und blieb lange in dem Loch. … Er sagte ihnen, sie sollen schlafen gehen, ihre Mama sei gestorben. Er selbst hatte dann das Baby weggebracht. Sie hatten es seitdem nicht mehr gesehen.

Der Roman ist ein klassischer Western. Hart, unsentimental und ohne jegliche Wildwest-Romantik. Der Sheriff fühlt sich zu alt für seinen Job und will von Heldentaten nichts wissen. Die beiden Mörder vom Beginn des Romans sind Jugendliche, die sich Geld für ihren ersten Bordellbesuch beschaffen wollten, und zumindest einer von ihnen wird von der Schuld innerlich zerfressen. Die Atmosphäre ist vergleichbar mit der roh-realistischen Darstellung des wirklich wilden Westens in Eastwoods »Erbarmungslos« oder der hervorragenden TV-Serie »Deadwood«. Wer schon alles von Cormac McCarthy, und Larry McMurtry gelesen hat, findet hier gleichwertigen Nachschub und wird nach der Lektüre den Lobeshymnen von Philip Roth und Richard Ford auf dem Cover beipflichten.

Tom Franklin: Die Gefürchteten | Deutsch von Wolfgang Müller
Heyne 2008 | 416 Seiten | Jetzt bestellen