Wer würde gern einen Roman über »Superman« lesen? Ich nicht. Und doch bin ich froh, dass ich es getan habe.
»Die unglaublichen Abenteuer von Kavalier & Clay« hat die Welt der Comics salonfähig gemacht. Doch während Michael Chabon mit seinem Pulitzer-preisgekrönten Buch einen Weltbestseller landen konnte, ging Tom De Haven, der mit seiner Jahre zuvor erschienenen »Funny Papers Trilogy« ebenfalls über die Pionierzeit der bunten Bilder geschrieben hat, leer aus. Dabei muss sich De Haven hinter seinem jüngeren Kollegen aus Berkeley nicht verstecken. Wie Chabon hat er die Populärkultur des letzten Jahrhunderts regelrecht in sich aufgesogen. Dazu verfügen beide über einen einzigartigen Stil, der sie aus der Masse der Autoren heraushebt.
Als DC Comics ihm vor über zwei Jahrzehnten das Angebot gemacht hatte, einen Roman über Superman zu schreiben, musste De Haven nicht lange überlegen, denn der Rechteinhaber des Comichelden gab ihm damals völlig freie Hand. »Es war die Chance eines Lebens«, sagt er heute.
»It’s Superman!« beginnt 1935, zur Zeit der Weltwirtschaftskrise, in Smallville, einem verschlafenen Nest in Kansas, wo ein junger Clark Kent sich als Journalist des wöchentlichen Lokalblättchens versucht und gleichzeitig auf der elterlichen Farm seinem Vater zur Hand geht. Doch bald wird ihm klar, dass er zu größerem bestimmt ist, als über den Kirchenbazar oder 90. Geburtstage zu berichten. Wozu genau, weiß er allerdings nicht. Clark hat Kräfte. Ungeheure Kräfte sogar, die er versucht vor seinen Mitmenschen zu verbergen, denn eigentlich möchte er nur so sein, wie alle anderen.
Als er eines Tages dem gleichaltrigen Fotografen Willi Berg begegnet und beide in eine dramatische Kindesentführung verwickelt werden, nimmt sein Leben eine Wendung. Willi überredet ihn, Smallville zu verlassen und die Welt zu entdecken. Gemeinsam trampen sie durch Amerikas Süden, wo er zu seinem Schrecken die dunklen Seiten des Landes kennenlernt. Schließlich landet das Duo in Hollywood, wo der unverwüstliche Clark als Stuntman seine Brötchen verdient, während Willi dort junge Damen in Dessous ablichtet.
Willi hatte in New York mitangesehen, mit welchen Mitteln der angesehene Ratsherr Lex Luthor seine Kontrahenten aus dem Weg räumt. Seitdem ist er als unliebsamer Zeuge auf der Flucht. Doch kann sein neuer Freund Clark ihn auf Dauer beschützen?
Am Ende findet Clark Kent seine Bestimmung, trifft auf seinen zukünftigen Erzfeind Luthor, begegnet der Liebe seines Lebens, Lois Lane, und bekommt nicht aufgrund seiner übermenschlichen Kräfte einen Job als Reporter beim »Daily Planet«, sondern wegen seiner Menschlichkeit. Nach vielen Umwegen ist er der Held geworden, den wir alle kennen – obwohl er noch immer nur so sein möchte, wie alle anderen.
De Haven zeichnet in seinem Roman ein Bild der Vorkriegsära, das seinesgleichen sucht. Seine Erzählfreude ist geradezu exzessiv. Auf jeder Seite findet man zeitgeschichtliche Details, Anspielungen auf die damalige Medienwelt und real existierende Persönlichkeiten. Ob Zigarettenmarken oder Süßigkeiten – alles ist recherchiert. Jede noch so unwichtige Nebenfigur wird liebevoll charakterisiert. De Havens unsentimentaler, augenzwinkernder Erzählstil entspricht dabei ganz der Zeit, in der die Geschichte spielt: Wenn Luthor einem sterbenden Handlanger verspricht, sich um dessen Witwe zu kümmern, schwebt ihm dabei sofort ein Job als Puffmutter vor.
Mit Superhelden-Comics hat das allerdings wenig zu tun, denn im Grunde ist »It’s Superman!« ein klassischer Kriminalroman, voller unerwarteter Wendungen, Morde und Dreiecksverhältnisse, bis die Handlung gegen Mitte doch noch einen Abstecher in Richtung Fantasy unternimmt. Aber selbst der Roboter, mit dem sich Clark plötzlich herumschlagen muss, ist eine Referenz an den Superman-Animationsfilm »The Mechanical Monsters«, aus dem Jahr 1941.
Das Buch schließt 1938, am Tag der Uraufführung von »Unsere kleine Stadt«, dem amerikanischsten aller amerikanischen Bühnenstücke, während der Krieg unaufhaltsam näher rückt und die Welt ihre Unschuld verliert.
»It’s Superman!« erhielt bei seinem Erscheinen 2005 fast durchweg wohlwollende Kritiken. Trotzdem war das Buch nicht erfolgreich genug, um eine deutsche Übersetzung zu rechtfertigen. Es war viel zu dunkel, viel zu literarisch, viel zu amerikanisch, um der erhoffte Weltbestseller zu werden. Und wer will schon einen Roman über eine Comicfigur lesen?
Insofern ist das Buch eine echte Mogelpackung, die alles, wirklich alles hält, was moderne Comicverfilmungen bislang nur versprechen. Gerade das macht diesen ungewöhnlichen Roman so bewegend.
Tom De Haven: It’s Superman! | Englisch
Hardcover: Chronicle Books 2005 | 384 Seiten
Taschenbuch: Del Rey 2011 | 464 Seiten
super Hinweis, so richtig pointiert und voll auf die Zwölf.
danke für die tolle Information und alles Gute weiterhin