Tim Willocks: Das SakramentAuf der größten Flotte seit der Antike hatte sich die beste Armee der Neuzeit eingeschifft. Suleiman Schah hatte sie ausgeschickt, um Malta zu erobern. Sollten die Türken siegen, würde ganz Südeuropa unter die Herrschaft des Islam geraten. Sizilien würde ihnen wie ein reifer Apfel in den Schoß fallen. Auch eine Rückeroberung Granadas durch die Moslems wäre nicht undenkbar. Rom selbst würde erzittern. Suleimans glühendster Wunsch aber war es, die Johanniter auszurotten – jene einzigartige Truppe von Krankenpflegern und kriegerischen Mönchen, die manche auch die Ritter vom Hospitalerorden nannten und die es selbst im Zeitalter der Inquisition wagten, sich als »Wächter des Glaubens« zu bezeichnen.

Im Jahr 1565 wird die Insel Malta als letzte Bastion der Christenheit belagert. Der Söldner Matthias Tannhäuser, ein Deutscher, der bei den Türken aufwuchs und mit ihrer Kultur vertraut ist, gilt als die letzte Chance der eingeschlossenen Malteserritter. Ihr Orden schickt die Contessa Carla aus, um Tannhäuser nach Malta zu locken. Ihr Sohn befindet sich ebenfalls in der belagerten Festung, und sie hofft, ihn auf diese Weise retten zu können. Der Inquisitor Ludovico versucht währenddessen, die Pläne zur Rettung des Ordens zu durchkreuzen, um seine eigenen Interessen zu verwirklichen.

Dieser gewaltige Schmöker über die viermonatige Belagerung der Insel Malta erfindet das Genre des historischen Romans nicht neu, aber er nutzt es virtuos. Es ist mehr ein Schlachtengemälde als eine Liebesgeschichte, doch die endlosen Kämpfe nutzen sich über die Länge des Romans nicht ab.

Der Held ist in jeder Situation überlegen und Herr der Lage. Er hat eine zweifelhafte Moral, ist an Geld mehr interessiert als an Ehre und Ruhm, trifft aber stets die richtigen Entscheidungen. Er besitzt einen trinkfesten, hünenhaften Gefährten und gleich zwei Frauen, die sich um ihn streiten. Eine gebildete Dame von Stand, die ihre Gefühle bis zuletzt unterdrückt, auf der einen Seite und eine exotische Schönheit mit seherischen Fähigkeiten und expressiver Libido auf der anderen.

Die Klischees prasseln nur so auf den Leser ein, trotzdem sind die Charaktere nicht platt, denn Willocks nutzt die vertrauten Schablonen nur als Ausgangspunkt für so manche überraschende wie erschütternde Wendung. Die überzeugende Kulisse lässt den Leser vollends in diese spannende und sehr unterhaltsame Lektüre eintauchen.

In einer Stadt, die sich keiner einzigen Zunft oder Gilde rühmen konnte und wo es keine einfache Sache war, auch nur ein Pferd beschlagen zu lassen, blühte als einziges Gewerbe die Prostitution und mit ihr die französische Krankheit. Jedes rehäugige Mädchen und jeder Jüngling mit zarter Haut schien nur für eine samengetränkte Matratze vorbestimmt. Außerhalb der Stadt zogen ganze Heere von Banditen plündernd und raubend durch das Land, und jenseits der hohen Alpenpässe wogte das giftige Meer des Protestantismus – Kalvinisten, Lutheraner, Waldenser, Wiedertäufer, Ketzer aller Art und Gestalt – und bedrohte sogar den Heiligen Stuhl. Ludovico wandelte über diesen Sündenpfuhl wie Christus über den See Genezareth.

Im Klappentext werden immer wieder »Die Säulen der Erde« beschworen, und der Autor wurde von Folletts Agent unterstützt, doch wenn man einen Vergleich ziehen möchte, dann würde ich das Buch eher als eine Mischung aus Paul Verhoevens »Flesh & Blood« und »Der mit dem Wolf tanzt« bezeichnen.

Der Autor Tim Willocks arbeitete viele Jahre als Psychiater und schaffte seinen Durchbruch mit dem Gefängnisdrama »Die Gefangenen von Green River«, das man jedem Freund der TV-Serie »Prison Break« ans Herz legen sollte.

Tim Willocks: Das Sakrament | Deutsch von Ulrike Seeberger
Aufbau Verlag 2007 | 763 Seiten | Jetzt bestellen