Till Burgwächter, Hardy Crueger: Braunschweig’sche VerbrechenJeder Topf hat einen passenden Deckel. Manchmal bekommt man den Eindruck, dass jedes Verbrechen auch sein Opfer findet, so bescheuert diese Idee auch sein mag. (Till Burgwächter)

Lediglich neunzig Kilometer trennen meine Heimatstadt Magdeburg von Braunschweig. Als Kind nahm ich diese Entfernung einerseits als nah, andererseits als weit entfernt war. Am Sonntag, dem 12.11.1989, durfte ich die bis dahin für mich unerreichbare Stadt zum ersten Mal besuchen, westlichen Duft einatmen und einhundert D-Mark Begrüßungsgeld in Empfang nehmen. Komisch war mir dabei zumute, und ich konnte die ausgelassene Freude meines damaligen Mannes und der mitgereisten Freunde (noch) nicht teilen. Inzwischen ist viel Wasser die Oker hinuntergeflossen. Während einer großen Umstrukturierung bei meiner Arbeitgeberin vor ein paar Jahren kam Braunschweig fast als Arbeitsort für mich infrage. Mittlerweile habe ich dort und im Umkreis ein paar liebe Freunde. Die große Buchhandlung mitten in der Stadt ist immer eine Reise wert. Was liegt näher, als sich auch einmal mit der »dunklen Seite« der Löwenstadt zu beschäftigen?

Passend zum Thema erhielt ich vom Verlag Andreas Reiffer ein in leuchtendem Dunkelrot gehaltenes Büchlein mit dem Titel »Braunschweig‘sche Verbrechen«. Das Buch enthält von Till Burgwächter und Hardy Crueger sorgfältig recherchierte und frei wiedergegebene echte Kriminalfälle aus Braunschweig, die es nicht in die Boulevardmedien geschafft haben. Der Band wurde von Karsten Weyershausen liebevoll und mit einem Augenzwinkern illustriert. Die Sammlung, gerade erst erschienen, fängt eine düstere Atmosphäre ein und zeichnet schockierend authentisch kriminelles (Lokal-)Milieu nach. Doch nicht nur das! Gemischt werden die grausamen Geschichten mit Beiträgen, die unterschiedlichen Themen zugeordnet sind. Die Sprengung von Geldautomaten, Verkehrsdelikte, Kirchen- oder Ladendiebstähle werden hier ebenso aufs Korn genommen wie alte Methoden von Neppern, Schleppern und Bauernfängern oder gesetzwidrige Kuriositäten rund um den heimischen Fußballverein.

Während sich der Braunschweiger Krimi-, Thriller- und Suspense-Kurzgeschichten-Autor Hardy Crueger seinen Akteuren aus unterschiedlichen Perspektiven und mit einfühlsamer Präzision nähert, sorgt der Autor und Journalist Till Burgwächter mit seiner erzählerischen Bandbreite von feiner Ironie bis hin zum lakonischen Sarkasmus für den einen oder anderen spontanen Lacher. Charakteristisch ziehen sich seine bildhafte Sprache und die daraus hervorgehenden Wortschöpfungen durch alle seine Texte. Nach dem Lesen kennt man seine Einstellung zu »Monsterballermännern«, »Hobbyböllerern« oder »Telefongängstern«.

Die Bandbreite der besprochenen Verbrechen ist weit gesteckt: sie reichen von erschreckend berechnenden über ungeplant verstörende Delikte bis hin zu scheinbar trivialen Untaten. Gut, dass dem »Enkeltrick« erklärend Raum gegeben wurde, fallen doch bis heute immer noch Menschen darauf herein. Auch den faszinierend beschriebenen »Wechselgeldtrick« wird man lange im Hinterkopf behalten. Doch wie kommt man am besten an Codes von Prepaid-Karten? Und: Was ist »Call ID Spoofing«? Warum wurde das Jahr 1998 in Braunschweig zum Blutjahr? Die unterschiedlichen Erzählstile der verschiedenen Einzelfälle gehen unter die Haut. Man begegnet einer jungen Mutter, in deren Kopf zur Tatzeit alles konfus war, einem Sexualstraftäter, der sein Opfer in der Straßenbahn auswählte, und möchte lieber von Alpträumen verschont bleiben, die eines der Opfer plagten.

Die Frage, ob Till Eulenspiegel tatsächlich ein Verbrecher war, treibt mich immer noch um. Schließlich gibt es neben Braunschweig noch fünf andere Städte, in denen nach diesem Schalk benannte Brunnen plätschern, unter anderem in meiner Heimatstadt Magdeburg.

Der ausgewogenen Mischung aus humorvoller Sicht und empathischer Herangehensweise gesellt sich der karikaturistische Blick. Ob der Weihnachtsmann von 2019 (»Braunschweig’sche Weihnacht«, gleicher Verlag) einfach sein Kostüm ausgezogen hat, seine Beute im großen Sack heimschleppt und auf der Flucht seine Waffen verliert, Ulrike das Anti-Schnarchkissen falsch einsetzt oder Kommissar Grote ein Problem mit dem Phantombild hat: der Wiedererkennungswert von Karsten Weyershausens Bildern ist hoch, die Wahrscheinlichkeit, dass sich im Gesicht Lachfalten bilden, auch.

Das kleine rote Büchlein garantiert beste Unterhaltung, in, um und um Braunschweig herum!

Till Burgwächter, Hardy Crueger: Braunschweig’sche Verbrechen | Deutsch
Verlag Andreas Reiffer 2022 | 176 Seiten | Jetzt bestellen