Thomas Kapielski: Sämtliche GottesbeweiseDen Autor eines Buches kennenlernen zu wollen, weil man sein Buch schätzt, ist so, als wollte man – zum Vergleiche schwankend hinkend – das Glas kennenlernen, aus dem das Bier geschmeckt hat. »Was sind denn Sie für ein Mensch?« Was soll man da sagen? Das ist schwierig. Man beseelt seine Fleischhülse und müsste es wissen und ahnt es vielleicht sogar, solange man nicht darüber nachdenkt. Tut man es, weiß man gar nichts mehr!

Willkommen in der Gedankenwelt des Thomas Kapielski, der mir klargemacht hat, dass es in meinem Bildungsspielraum noch ziemlich luftig ist. Ich mache dies zum einen daran fest, dass mir sowohl seine »Gottesbeweise« als auch Kapielski selbst bis vor kurzem absolut unbekannt waren. Zum anderen muss ich gestehen, einiges in seinem Buch nicht oder nur ansatzweise verstanden zu haben. Aber was soll’s? Noch nie hat mir ein Buch mit so vielen Fremdwörtern so viel Spaß gemacht.

Kapielskis »Gottesbeweise« erschienen 1998/1999 in zwei Bänden beim Merve Verlag (»Davor kommt noch«, »Danach war schon«), zehn Jahre später hat sie Zweitausendeins in dem hier vorgestellten Band zusammengefasst. Der Autor, bildende Künstler und Musiker erzählt darin von seinen Erlebnissen in den 60er, 70er und 80er Jahren, z. B. von Jugendreisen (inoffiziell: Bockwurstfahrten) in die DDR mit einem ziemlich karl-heinz-haftigen Reiseführer namens Schübner.

Diesen inneren Hans-Joachim konnte er nicht abschütteln, und er sah auch immer aus wie ein etwas zu jung gebliebener Schlafwagenschaffner: weißes Oberhemd, die Bügelfalte, Bürobrille mit Goldrand, während wir anderen alle wie struppige Waldschrate, Frühchristen und bunte Berber rumlatschten.

Kapielskis Berichte von diesen und anderen Reisen, z. B. nach Polen oder in die Sowjetunion, sind Zeitgeschichte von unten. Nichts historisch Glattgebügeltes, sondern bemerkenswerte Erinnerungen, die man allesamt betiteln könnte mit: »Wie es wirklich war«.

Dass es sich lohnt und zugleich wesentlich aufschlussreicher ist, die Welt aus eben genau dieser Perspektive zu betrachten, veranschaulicht er am besten, als er von einer Hochzeit in Finnland berichtet. Ein Kapitel, bei dem der Klappentext des Buches hält, was er verpricht: Man bricht ständig in scheinbar unmotiviertes lautes und anhaltendes Gelächter aus.

Brechts Finnlandkitsch, Finnland von oben, die Landkarte mit den vielen, vielen Tümpeln. Dabei fährst du dann durch dieses Finnland, und, gut, rechts dümpelt mal ein See vorbei, dann links auch hin und wieder einer, aber man sieht das ja nicht von oben, und nur von oben betrachtet hat das etwas Beeindruckendes. Diese vielen, vielen Käselöcher. So denkt man eben, tja, es hat ’ne Menge Gegend hier, mit Seen ab und an, oder auch öfter, und von Gletschern kommen sie her, die Löcher im finnischen Käse. Aber mein Gott noch mal! Was sonst? Dazwischen kein Strauch, kein Blümchen, nur diese Klobürsten, diese ewigen Kiefern, ein Meer der Magersucht und unten rum alles voll brauner Nadeln. Es nadelt unablässig allerorten. Die Birke gilt als Abwechslung.

Neben solch einzigartigen Landschaftsbeschreibungen muss man Kapielski auch für seine Respektlosigkeit bewundern, wie er seinem Unmut über die Arschgesichter dieser Welt intellektuell hinausrotzt. Wobei Kapielski sich nicht selten selbst als ein solches Arschgesicht zu erkennen gibt. Das macht ihn und seine »Sämtlichen Gottesbeweise« außerordentlich sympathisch. Ebenso seine Lockerheit gegenüber vermeintlichen Autoritäten und Lebensschicksalen, die der passionierte Biertrinker lediglich während einer Autofahrt ablegt – im letzten Kapitel dieses Buches.

Thomas Kapielski: Sämtliche Gottesbeweise | Deutsch
Zweitausendeins 2009 (2. Auflage) | 340 Seiten | Jetzt bestellen