Thomas Harris: Cari MoraZwölf Jahre hat es gedauert, bis das neue Buch von Hannibal-Lecter-Schöpfer Thomas Harris erschien. Viele Jahre, in denen sich einiges an Vorfreude angesammelt hat, die der Autor aber offenbar nicht mit Schreiben verbracht hat. Zunächst einmal muss man feststellen, dass es sich um ein ziemlich schmales Bändchen handelt. In sehr augenfreundlicher Schriftgröße und mit vielen leeren Seiten, da jedes der zahlreichen Kapitel auf einer neuen Seite beginnt. Das wäre noch zu verschmerzen, müsste man nicht anschließend feststellen, dass es sich bei den letzten sechzig (!) Seiten um eine Leseprobe aus »Das Schweigen der Lämmer« handelt.

Aber man soll ein Buch natürlich nicht nach seinem Umfang beurteilen. Kommen wir also zum Inhalt und damit zum zweiten großen Problem dieses Romans. Zunächst einmal legt der Klappentext eine völlig falsche Spur, indem er den Eindruck vermittelt, hier werde ein neuer Hannibal eingeführt. Der Killer mit dem wirklich furchterregenden Namen Hans-Peter ist aber weder genial noch faszinierend. Außerdem spielt er kaum mehr als eine Nebenrolle, zwischen all den anderen Schablonencharakteren, die sich lediglich durch ihre Namen unterscheiden.

Worum geht es? Die Titelheldin Cari Mora wurde als Zwölfjährige von der kolumbianischen Guerillagruppe FARC entführt und zur Kindersoldatin ausgebildet. Sie konnte fliehen, kam nach Amerika und arbeitet inzwischen als Haussitterin der Villa des ehemaligen Drogenbarons Pablo Escobar. Die Villa wird häufig von Filmteams gemietet, um darin zu drehen. Doch die momentanen Mieter haben stattdessen begonnen, mit schwerem Gerät den Keller aufzureißen. Dort soll sich ein Tresor mit einem millionenschweren Goldschatz befinden, den gleich zwei kriminelle Banden für sich beanspruchen. So gerät Cari Mora zwischen die Fronten der Diebesorganisation Ten Bells und des skrupellosen Menschen- und Organhändlers Hans-Peter Schneider.

Klingt recht spannend, aber die Handlung wirkt seltsam zusammengestückelt. Zum Einstieg ist das noch originell, weil sich die Geschichte noch in viele Richtungen entwickeln kann, aber schnell bekommt man den Eindruck, als habe Harris sein Buch in drei Teile geteilt und den ersten Teil weggeschmissen, damit der Leser sich die Vorgeschichte selbst zusammenreimen muss. Leider bleibt es dadurch konfus. Ständig werden neue Figuren eingeführt und meist bleibt es bei einem Kurzauftritt. Ein Kapitel erlebt der Leser sogar aus der Sicht eines Krokodils, als würden die Hauptfiguren nicht genug hergeben. Dabei fehlt es denen deutlich an Präsenz, um etwas Tiefe zu entwickeln.

»Cari Mora« ist wie Resteessen bei Hannibal Lecter. Vielleicht bringt die Verfilmung, die zweifellos folgen wird, die ganzen Bestandteile unter einen Hut und dann können die Schauspieler den Figuren Leben einhauchen.

Nach der Lektüre des Romans kann man verstehen, dass der Verlag den Platz im Buch nutzt, um die Klassiker von Harris zu bewerben.

Thomas Harris: Cari Mora | Deutsch von Imke Walsh-Araya
Heyne 2019 | 335 Seiten | Jetzt bestellen