»Your mother was a saint, yeah. Selfless. Good. Righteous. Those eyes of her. But maybe too good, too pure, you know what I mean? Maybe she made me feel like shit in comparison, made me feel like hurting her – just a little, maybe. Like your Jessica, right? Am I right? Goody-good?«
Walter van Brunt wächst bei Adoptiveltern auf, nachdem sein Vater seine Mutter eines Tages verlässt und sie sich daraufhin zu Tode trauert. Seine Eltern und seine Adoptiveltern wirkten 1949 bei der Organisation einer pro Bürgerrechts- und Arbeiterveranstaltung mit, die zu den im Roman so genannten Peterskill Riots entgleiste. Denn amerikanische »Patrioten« organisierten Proteste gegen die Veranstaltung. Sie verhinderten nicht nur, dass die geplanten Konzerte und Vorträge stattfanden, sondern griffen die bereits versammelten Teilnehmer an und verletzten viele von ihnen schwer, darunter Walters Adoptiveltern und seine Mutter. Sein Vater verließ die Veranstaltung, als ihnen die Bedrohung klarwurde, angeblich, um die nationale Polizei zu Hilfe zu rufen, was er aber nie getan hat. Stattdessen ist er ohne eine Erklärung verschwunden.
Bis zu seinem 22. Geburtstag im Jahr 1968 glaubt Walter diese Version darüber, was mit seinen Eltern passiert ist, die ihm seine Adoptiveltern sein ganzes Leben lang erzählt haben. Erst dann fängt er an zu hinterfragen, ob diese Geschichte mit der Version seines Vaters übereinstimmen würde, was sein Vater an jenem Abend wirklich getan und was ihn dazu getrieben hat.
Auslöser für Walters Zweifel ist ein Motorradunfall, bei dem Walter sein rechtes Bein verliert. Walter hält sich für einen »freien« und »seelenlosen« Existentialist, weshalb er es verschmäht, seinen Geburtstag mit seiner Freundin Jessica und seinen Adoptiveltern zu feiern. Stattdessen betrinkt er sich, fährt betrunken mit dem Motorrad nach Hause und stößt mit einer Gedenktafel zusammen, die an die Hinrichtung von einem gewissen Jeremy Mohonk und einem Cadwallader Crane erinnert, die im 16. Jahrhundert gegen die Autorität der Gutsherrenfamilie van Wart rebellierten.
Die van Warts, holländische Siedler, hatten verschiedenen Indianerstämmen, darunter die Kitchawanks, das Land abgeluchst und verteilten es an kleinere Farmer, die dafür einmal im Jahr einen festgelegten Betrag an Naturalien und Geld zahlen mussten – darunter auch Walters Vorfahren. Parallel zu Walters Suche nach seinem Vater, erzählt Boyle die Geschichte der van Brunts und van Warts im 16. Jahrhundert. T. C. Boyle vermeidet dabei jede Schwarz-Weiß-Malerei. Wunderbar ironisch charakterisiert er Walter, den Möchtegern-Einzelgänger, seine Freundin Jessica und seinen besten Freund Tom, zwei Hardcore-Anhänger der Flower-Power- und Umweltbewegung, den Großgrundbesitzer Depeyster van Wart, seine Hippie-Tochter Mardi, Depeysters Frau, die sich als Wohltäterin für Indianer engagiert.
Aus zahlreichen Querverweisen und Gemeinsamkeiten zwischen Vor- und Nachfahren im 16. und 20. Jahrhundert entsteht ein dichtes Netz an Zusammenhängen, das immer wieder die Frage nach Vorherbestimmung – sei es durch historische Umstände oder Genetik – und freiem Willen im menschlichen Handeln aufwirft. Über allem steht immer die Frage, warum Menschen handeln, wie sie handeln, besonders wenn ihr Verhalten völlig irrational und unerklärlich scheint. Gegen Ende des Romans bekommt Walter endlich die Gelegenheit, genau diese Frage auch seinem Vater zu stellen.
T. C. Boyle: World’s End | Englisch
Bloomsbury 1996 | 480 Seiten | Jetzt bestellen