Closing my eyes doesn’t help. Fire burns brighter in the darkness.
In »The Hunger Games« (deutsch: »Die Tribute von Panem«) beschwört Suzanne Collins eine post-apokalyptische Welt herauf, die aus 13 Bezirken und einem Regierungsbezirk, dem Capitol, besteht. Der 13. Bezirk wurde rund 75 Jahre zuvor wegen einer Rebellion gegen das Capitol dem Erdboden gleichgemacht. Die anderen 12 Bezirke sind gezwungen, jedes Jahr an einer besonders grausamen Version der römischen Brot und Spiele teilzunehmen, als Erinnerung an ihr Verbrechen (die Rebellion) und an die Macht des Capitols.
Jeder Bezirk entsendet per Losverfahren jedes Jahr einen Jungen und ein Mädchen zwischen 12 und 18 Jahren – die Tribute – zu den sogenannten Hunger Games. Die 24 Kinder werden in eine riesengroße, mit natürlichen und künstlichen Gefahren gespickte Arena gesteckt, und müssen sich dort solange durchschlagen, bis nur noch einer von ihnen am Leben ist. Dieser Kampf auf Leben und Tod wird mit Kameras live übertragen, inklusive Zusammenfassungen der spannendsten Momente, und alle Distrikte müssen zumindest zu bestimmten Sendezeiten zuschauen.
Dieses Setup könnte natürlich in einen banalen Science-Fiction-Roman münden, aber die Autorin schafft es, den Leser ständig durch unerwartete Wendungen in der Handlung zu überraschen. Dann ist da der bemerkenswerte Erzählstil. Der Leser erfährt das Geschehen ausschließlich aus der Perspektive der Tributin Katniss Everdeen aus dem 12. Bezirk, und sie erzählt im Präsens. Natürlich ist man als Leser gleichzeitig in der Perspektive der wenigen Zuschauer, die sich die Hunger Games freiwillig anschauen, was wieder die interessante Frage aufwirft, warum der Mensch Gefallen an Grausamkeit und Gewalt findet.
Während Katniss um ihr Überleben kämpft, ist sie ständig gezwungen zu überdenken, wem sie noch trauen kann. Als Leser wird man natürlich auch in ihre Perspektive hineingezogen und wird von ihren Versuchen, Schein und Sein zu unterscheiden, gefesselt. Sie entdeckt eingebildete und echte Abgründe an sich und anderen und gewöhnt sich an, um fünf Ecken zu denken – manchmal zu ihrem Vorteil, manchmal zu ihrem Schaden.
Die Tributkinder haben zum Beispiel Mentoren – Überlebende der Spiele aus den Vorjahren. Doch da nur ein Kind pro Bezirk überleben kann, ist der Mentor gezwungen, für einen seiner Schützlinge Partei zu ergreifen. In der Arena bilden die Kinder noch dazu selbst mehr oder weniger dürftige, temporäre Bündnisse, die entweder reine Strategie, Täuschungsmanöver oder von echter Loyalität motiviert sind.
Während »The Hunger Games« als erster Teil der Trilogie noch stark Action-geprägt ist, entwickeln sich Teil 2 (Untertitel: »Catching Fire«) und Teil 3 (»The Mockingjay«) zu wahren Psychodramen. Die Wendungen werden immer überraschender, bleiben aber fast immer glaubwürdig.
Katniss ist als Überlebende ihrer Hunger Games mehr oder weniger unfreiwillig zur Symbolfigur für die neu aufflammende Rebellion der Bezirke gegen das Capitol geworden. Sie kämpft mit Alpträumen und Schuldgefühlen. Die Figuren um sie herum werden immer undurchsichtiger und scheinbar unberechenbarer, bis sie fast niemandem mehr traut – nicht einmal ihrem Geliebten oder ihrem Kindheitsfreund – und fast auf sich allein gestellt kämpft. Die Frage »real or not real?« wird zum Leitmotiv für den dritten Teil. Katniss wird zu einer Rächerin, deren eigener Rachefeldzug sie selbst zerstört, auch wenn er teilweise erfolgreich ist.
Fast nebenbei schafft es Collins außerdem, interessante Fragen über Politik, Macht, Korruption, Selbstkenntnis, Evolution und Geschichte aufzuwerfen: Will die Anführerin der Rebellen nur den Platz des herrschenden Präsidenten einnehmen? Werden die Bezirke die Hunger Games mit den Kindern ihrer ehemaligen Unterdrücker weiterführen, bis deren Rachelust zu einer Gegenrebellion heranwächst, oder entwickelt sich die Menschheit weiter, weil sie aus der Geschichte lernt?
Suzanne Collins: The Hunger Games | Englisch
Scholastic 2011 | 1.392 Seiten (Trilogy) | Jetzt bestellen