Susan Hill: Die Frau in SchwarzNach dem Tod der alten Mrs Drablow schickt die altehrwürdige Kanzlei, welche die Nachlassverwaltung ihrer Klientin regelt, den jungen aufstrebenden Anwalt Arthur Kipps in das kleine Dorf Crythin Gifford, um dort alles Nötige zu veranlassen und den hinterlassenen Schriftverkehr zu sichten. Der junge Mann sieht diese Aufgabe als Vertrauensbeweis und Aufstiegsmöglichkeit bei seinem Arbeitgeber, und so macht er sich auf den Weg in die englische Einöde.

Dass die alte Dame im sogenannten Eel Marsh House draußen in der Marsch, das aufgrund der Gezeiten nur zu bestimmten Tagesabschnitten erreichbar ist, quasi von der Außenwelt abgeschnitten lebte, erscheint ungewöhnlich. Bei der Beerdigung der alten Dame fällt dem Anwalt eine seltsame, schwarzgekleidete Frau auf, von der eine unheimliche Bedrohung auszugehen scheint. Als Kipps die Anwohner zu dieser Gestalt befragt, trifft er auf eine Mauer des Schreckens und des Schweigens. Dies hält ihn jedoch nicht davon ab, seinen Auftrag durchzuführen, und so zieht er in das alte Haus ein, um dort seiner Arbeit nachzugehen und sämtliche Schriftstücke auf Relevanz zu prüfen.

Eel Marsh House ist ein altes, bedrohliches Gemäuer, dessen düstere Präsenz durch die ungünstige Lage noch verstärkt wird. Schnell wird Kipps mit übernatürlichen Ereignissen im und um das Haus herum konfrontiert. Auch die Frau in Schwarz treibt dort ihr Unwesen. Trotz seiner Angst hat der junge Mann es sich zum Ziel gesetzt, ihr Geheimnis zu ergründen, was wenig überraschend dazu führt, dass er sich selbst in Gefahr bringt. Hilfe ist nicht zu erwarten. Die wenigen Personen aus dem Dorf, zu denen er Kontakt hat, meiden Gespräche über die dunkle Erscheinung wie der Teufel das Weihwasser.

Bis die Leserschaft dem schrecklichen Ende der Geschichte beiwohnen wird, erwartet sie eine atmosphärisch dichte Erzählung, bei dessen Genuss man sich des öfteren vergewissert, ob nicht doch die Temperatur im Raum um das eine oder andere Grad gefallen ist.

»The Woman in Black«, so der Titel des 1983 veröffentlichten Originals, ist ein moderner Klassiker der Schauerliteratur und steht in der Tradition von Shirley Jacksons »The Haunting of Hill House«, aber auch in der Tradition anderer alter – und großartiger – englischsprachiger Autoren unheimlicher Geschichten, wie zum Beispiel Joseph Sheridan Le Fanu, Algernon Blackwood, M. R. James und wie sie alle heißen. Der Roman wurde 2012 mit Daniel Radcliffe in der Hauptrolle sehr ansprechend verfilmt. Beide Werke – Roman und Film – haben durchaus ihre Stärken, daher möchte ich auch beide empfehlen. Allerdings sollte man zuerst den Roman lesen und danach den Film schauen, um der eigenen Phantasie ungetrübt freien Lauf lassen zu können.

Eine gute Tasse Earl Grey ist bei der Lektüre des Buches ebenfalls zu empfehlen.

Susan Hill: Die Frau in Schwarz | Deutsch von Lore Strauß
Oktopus 2022 | 236 Seiten | Jetzt bestellen