Sten Nadolny: Das Glück des ZauberersBemerkenswert, wie es Sten Nadolny gelingt, im »Glück des Zauberers« noch mit erhobenem Zeigefinger so weit ausholend den Holzhammer zu schwingen. Die Ansätze zu dieser Geschichte sind grundsätzlich interessant: Ein über 100 Jahre alter Zauberer namens Pahroc schreibt Briefe an seine neugeborene Enkelin (muss man sacken lassen, ja), als Wegweiser durch die Zauberkunst, die sie nämlich als erste in seiner Familie nach ihm ebenfalls beherrscht. So gerät sein Leitfaden zum moralischen Abbild des 20. Jahrhunderts mit eingestreuten konstruierten Wattedramen rund um Feindschaft, Freundschaft, Liebe und übernatürliche Fähigkeiten. Kickt nur leider nicht. Wie gut, dass es etwas Neues von Ben Aaronovitch gibt, der weiß wenigstens, wie man Zauberei schlüssig und spannend in den Alltag integriert.

Dabei wählte Nadolny eine sinnvolle Struktur für diese Autobiografie eines Magiers: Die Fähigkeiten für bestimmte Tricks erwirbt ein Zauberer danach erst mit einer gewissen Lebenserfahrung, und die ist bisweilen zwangsläufig an ein voranschreitendes Alter geknüpft. Also lässt er seinen Pahroc die einzelnen Kunststücke entlang dessen Biografie erwerben, die sich wiederum an der Geschichte Deutschlands und Europas des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart des Jahres 2017 erstreckt; der Zauberer ist mithin ein teutonischer »Forrest Gump«. Pahroc sieht sich dabei als Teil einer internationalen Zauberergemeinschaft; inklusive tödlicher Feindschaften sogar, doch gelingt es Nadolny nur ein einziges Mal, daraus eine Spannung zu kreieren, die man als Lesender tatsächlich als Bedrohung für Leib und Leben der Hauptfigur auffasst – und in der es zu einem tatsächlich mitreißenden Kampf der Magier kommt.

Pahrocs Erzfeind ist ein Ex-Buddy aus der Nachbarschaft namens Schneidebein, dem er banalerweise die Freundin ausspannte, zudem existiert eine Art Phantom-Erzbösewicht namens Babenzeller. Bis auf diese eine spannungsgeladene Situation entschärft Nadolny deren Bedrohlichkeit jedoch recht schnell und nimmt damit sämtliche Spannung aus der Erzählung heraus. Letztlich weiß man, dass Pahroc aus allem unbeschadet herauskommt, weil er ja schließlich später dazu in der Lage sein wird, diesen Brief zu verfassen; es etwa einen verstorbenen Zauberer posthum tun zu lassen, ist nicht Nadolnys Idee von Überraschung.

Eigentlich ist sogar gar nichts Nadolnys Idee von Überraschung. Alles in diesem Buch ist im Grunde einem historischen Zwang untergeordnet, und da sich der Autor selbst offenbar gern als moralisch einwandfrei sieht, lässt er Pahroc auch einen lauteren Mann sein, der sogar verkehrte Ideen als solche erkennt. Ohne jedoch einen Schaden zu nehmen, denn den nimmt Pahroc im Grunde nie, auch wenn er vor Schneidebein an die Ostfront flieht, einmal aufgrund falsch angewandter Magie für einige Zeit verschwindet oder für zwei Jahre wegen Hochstapelei inhaftiert wird. Ist halt so, Lebbe geht weiter.

Falsch sind nur die anderen, die, die ihren Arm einem Diktator entgegenrecken, die, die ihre Mitmenschen unterdrücken, die, die rachsüchtig und machtgeil sind, die, die nur auf ihr Smartphone starren, so aktuell ist der Überhundertjährige sogar, jaha! Und trifft mit seinen Verallgemeinerungen den offen liegenden Nerv undifferenziert wertender Gestriger besser als den jener Menschen, die zu abstrahieren und eigene Werte zu finden in der Lage sind, die nicht zwingend richtig oder falsch sein müssen, aber für sie selbst vielleicht besser funktionieren.

Pahroc nun also, der sich unter anderem als Erfinder, Psychologe und Soldat in Tarnidentitäten flüchtet, kann seinen Arm verlängern, fliegen, sich unsichtbar machen, sich verwandeln, Geld generieren und Gedanken lesen. Andere Zauberer können das auch, und Nadolny erlaubt sich den in seinen Augen wohl diebischen Spaß, Erfindungen und Ereignisse der Weltgeschichte damit auf Zauberei zurückzuführen, sogar Pahroc weltbewegende Initiativen anregen zu lassen, die nur deshalb nicht auf ihn zurückzuführen sind, weil er wie alle Magier seine Zauberkunst geheim halten muss. Man braucht nicht sonderlich viel Allgemeinbildung, um daraus Aha-Erlebnisse abzuleiten, die man mit etwas Durchblick als zu konstruiert und gezwungen auffasst und die den Lesespaß gleich von Anfang an trüben. Das will klug sein, ist dies aber nur auf einem mittleren Niveau. Man sei gewarnt: Es wird nicht besser.

Die letzten beiden Kapitel drehen sich dann gar nicht mehr um zu erlernende Kunststücke, da fielen Nadolny wohl keine mehr ein, aber seine Meinung zu Nachkriegs- und Gegenwartsgeschehen wollte er wohl noch zwingend unterbringen. Ist ja gut, Nadolny, bist ein Guter! So übermoralisch, dass es wehtut. Man wundert sich, dass man sein Debüt »Die Entdeckung der Langsamkeit« von 1983 noch so positiv in Erinnerung hat, und zaubert dieses Buch in die nächste Büchertauschtelefonzelle.

Sten Nadolny: Das Glück des Zauberers | Deutsch
Piper 2017 | 320 Seiten | Jetzt bestellen