Dinosaurier fressen Elvis. Klingt überdreht, ist aber ein Höhepunkt in einer an Höhepunkten enorm reichen Comic-Geschichte: Zyklotrop, der Erzfeind des Grafen von Rummelsdorf und damit auch von dessen Freunden Spirou und Fantasio, entwickelt in seinem dritten eigenen Sonderband eine technische Möglichkeit, Lebewesen zu klonen, vornehmlich sich selbst in allen Facetten, unter anderem überraschend einer weiblichen.
Daneben nimmt sich der erste Band der parallel veröffentlichten Rummelsdorf-Reihe erschreckend bieder aus: Darin entschlüsselt der jugendliche Pilzgraf als Teil eines englischen Geheimteams die Enigma-Chiffriermaschine der Nazis. Zeichnerisch mag der Band etwas akkurater sein, erzählerisch ist er haarsträubender Wohlfühlpop mit blasser Nazitapete. Die größte Aufgabe für »Spirou«-Leser wird mit diesen zwei Ausgaben aber sein, sich in dem unübersichtlichen Dickicht an Sonderserien dieser frankobelgischen Funny-Reihe zurechtzufinden.
Ausgerechnet Elvis Presley ist das Ziel der jüngsten Wahnsinnsidee des egomanischen sowie genialen wie vertrottelten Erfinders Zyklotrop: Mit seiner Androiden-Tochter Zandra entnimmt er in Memphis eine DNA-Probe des eindeutig toten Musikers, um daraus einen Klon zu produzieren, den er an einen russischen Millionär verkauft. Blöd nur, dass das Problem der nur temporären Oberflächenspannung Zyklotrops Klone nach kurzer Zeit zerfließen und den Mafiamillionär daraufhin nach Rache dürsten lässt. Derweil entwickelt Zyklotrop sein Verfahren weiter und klont sich zwanzigmal selbst, wobei jeder Klon eine eigene Seite des Originals vertieft. Der zwanzigste Klon ist dabei zur Überraschung aller Beteiligten eine Frau, die titelgebende »Lady Z«, die sich zudem nicht nur erfinderisch hervortut, sondern sich auch noch in den tödlichen Disput mit dem Moskauer Elvisfanatiker einmischt.
So gut wie jeden sich am Wegesrand anbietenden Gag nimmt Munuera für diese Geschichte mit, sein Einfallsreichtum ist unschlagbar. So lässt er den Butlerroboter und Zandra immerfort Zyklotrops von seiner eigener Tollpatschigkeit torpedierten Größenwahn bissig kommentieren und erlaubt es sich damit, die von André Franquin erdachte Figur nicht nur mit dieser Serie zu feiern, sondern auch zu analysieren, denn die ambivalente Vielschichtigkeit dieser Figur ist hier fortwährendes Thema. Kommentare gestattet sich Munuera auch zum aktuellen Zeitgeschehen, indem er diese futuristische Geschichte in der Gegenwart stattfinden lässt, mit Errungenschaften wie Internet, Smartphone und Personenkult; Elvis mag da veraltet wirken, aber er bleibt nicht allein, so viel sei verraten.
Wie Munuera dramaturgisch geschickt manche Gags einbaut, etwa den mit dem Cadillac, empfiehlt ihn beinahe für das Metier Film. Und seine Zitate bringt er nicht um ihrer selbst willen an, sondern als Teil der Handlung: Die unterschiedlichen Charaktere der Klone erinnern Zandra und den Butler zwangsläufig an die Schlümpfe, und Munuera gibt den Zyklotrops vergleichbare Eigenschaften. Das Isnogud-Zitat kommt ebenso schlüssig: Als Lady Z aufbegehrt, merkt ihr Schöpfer an, sie wolle »Zyklotrop werden anstelle von Zyklotrop«. Und wenn Munuera im ausklappbaren Mittelteil diverse T-Rexe gegen eine Elvis-Armee antreten lässt, passt das perfekt in diese grandios überdrehte Geschichte.
Überdies ist es Munuera hoch anzuerkennen, dass er Lady Z nicht sexistisch ausgestaltet. Zeichnerisch indes gibt es bisweilen sehr wohl etwas zu bemängeln: Manche Bilder wirken, als seien sie Vergrößerungen und nicht Teil eines komplett ausgestalteten Panels; die Striche sind dann dicker als in den Nachbarbildern, es wirkt inkohärent und unübersichtlich. Überdies gelingen ihm manche Darstellungen nicht, einige Bilder wirken ungenau, die Inhalte schwer erkennbar. Dennoch geht von ihnen eine erhebliche Dynamik aus, und die Geschichte macht diese kleinen Mängel mehr als wett.
Interessanterweise ist dieser dritte Zyklotrop-Band sogar besser als die ersten beiden, die inhaltlich mehr Redundanz und Leerlauf in sich tragen. Mit diesem Buch unterstreicht Munuera einmal mehr, dass es ein Fehler des Verlags Dupuis war, ihm vor zwölf Jahren die »Spirou«-Hauptserie wegen sinkender Verkaufszahlen zu entreißen; seine Abenteuer waren dynamischer, emotionaler und komplexer als die seiner Nachfolger Fabien Vehlmann & Yoann, die ihm erzählerisch leider nicht das Wasser reichen können und die Erlöse zudem auch nicht retteten. Seit vier Jahren nun ruht auch deren Tun, lediglich für die parallele One-Shot-Reihe steuerten sie noch einen Band bei. Mag man alles nicht verstehen, aber dazu später mehr.
Denn parallel erscheint ja auch noch der erste Band der neuen Rummelsdorf-Reihe. Der spielt zur Zeiten der Okkupation Belgiens durch die Nazis, die den Grafen aus seinem Schloss vertreiben, was ihn nicht sonderlich stört, weil er von einem Freund nach England gerufen wird, um dort an der Entschlüsselung der Enigma-Maschine mitzuwirken. Klappt, Nazis verlieren den Krieg, fertig. Weiß man, weil die Geschichte selbst bekannt ist, nicht nur Dank Robert Harris und der Verfilmung seines Romans »Enigma«, und somit ist dieses Buch kaum mehr als eine Geschichtsstunde, eine Nacherzählung der tatsächlichen Ereignisse mit historischen und technischen Erklärungen sowie einer ähnlich wie bei Harris eingestreuten Liebesgeschichte.
Leider erzählen BeKa und David Etien diese Geschehnisse sehr betulich. Ihr Zeichenstil mag genauer sein als der von Munuera, dafür lässt er es an Dynamik fehlen, genau wie die Geschichte dazu. Bieder und schleppend bestaunen die Codeknacker sowohl die Enigma-Maschine als auch ihre Erkenntnisse, und jeden glanzvollen Moment bekommt man auch in einem an Hollywood geschulten Glanz präsentiert. Die Gutartigkeit der Engländer erscheint hier pathetisch, die Gräuel der Nazis beinahe wie eine Tapete, ein diffuses Muster, ein Hintergrundrauschen, das die tanzenden und ballspielenden Genies nur peripher zu verunsichern scheint. Erst, als es gelingt, noch am selben Tag die bedrohlichen und tödlichen Botschaften der Nazis zu entschlüsseln, erwacht eine Erkenntnis bei den Wissenschaftlern. Gut und Böse sind hier zudem auch in ihrer Darstellung sehr pathetisch angelegt; der böse Adolf Hitler erscheint hinterlistig im Halbdunklen, der gute Winston Churchill menschlich in der Badewanne.
Möglicherweise ist hier sogar Humor angelegt, aber wenn dem so ist, dann verpufft er vor lauter Niedlichkeit. Oder wirkt mit dem Holzhammer: Ein Kollege heißt Ian Fleming und überlegt sich, eine Spionagefigur namens Bond zu erfinden. Die Widerständler im heimischen Belgien rekrutieren sich sämtlich aus den Bewohnern des Franquin’schen Ortes Rummelsdorf. Der Rechenmaschinentüftler beißt einmal in einen Apfel, dessen Schatten danach an ein sehr bekanntes Markenlogo angelehnt ist. Und die Liebesgeschichte zwischen dem Belgier und der Schottin ist allenfalls niedlich, aber nicht romantisch. Das ganze Buch scheint eher Kinder als Zielgruppe zu haben; das war bei Munuera noch nie so. Schlimmerweise gibt es zum Abschluss einen Cliffhanger, der eine ohnehin negativ angelegte Figur als Bösewicht entlarvt; wenig Überraschung, wenn man kein Kind ist und etwas Erfahrung mit Spionagegeschichten hat, und außerdem keine gute Aussicht auf die Zukunft dieser neuen Nebenreihe.
Und das führt zum Thema Serienzählung. In Deutschland beginnt die »Spirou«-Reihe mit den Abenteuern von André Franquin, also 1951, 13 Jahre nach der Erfindung des Hotelpagen von Rob-Vel. Bis 2016 zählt Carlsen 53 Bände (»Der Zorn des Marsupilamis« von Vehlmann & Yoann war der bislang letzte). Alles vor 1951 erschien später in der Spezial-Reihe, allerdings fehlen davon noch die Comics von Jijé aus den Jahren 1943 bis 1946. In die nicht nummerierten Spezial-Bände mischt Carlsen nun seit 2006 zusätzlich die One-Shot-Reihe, in der sich Zeichner- und Autorenteams einmalig an einer Spirou-Geschichte versuchen dürfen; diese Reihe, die zudem im Original auch noch eine eigene Zählung hat, ist längst populärer als die Hauptreihe, weshalb wohl deren Autoren ihr jüngstes Werk ebenfalls als One-Shot gestalteten, genau so, wie sie ihre Spirou-Karriere seinerzeit auch begannen, als Debütanten dieser One-Shots.
Und dann gibt es seit 2018 noch die Reihe »Spirou präsentiert«, in der ausgesuchte Figuren aus dem Rummelsdorf-Universum eine eigene Reihe mit wiederum eigener Zählung bekommen – deshalb ist »Lady Z« der dritte Teil von »Spirou präsentiert« und von »Zyklotrop«, aber »Enigma« der vierte Teil von »Spirou präsentiert« und der erste von »Rummelsdorf«. Und dann gibt es da ja noch das einzige nichtfrankobelgische Spirou-Abenteuer, das nämlich der Berliner Flix gestaltete und das deshalb in gar keiner Zählung auftaucht, zumindest bislang.
Davon abgesehen empfiehlt sich »Spirou« auch weit nach ihren großen Erfolgen immer noch und immer mal wieder, nicht zuletzt wegen mancher grandioser One Shots. Da stehen andere traditionelle frankobelgische Funnyserien längst hinten an.
José Luis Munuera: Zyklotrop 3 – Lady Z | Deutsch von Macel Le Comte
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Beka & David Etien: Rummeldsdorf 1 – Engima | Deutsch von Macel Le Comte
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