Sophie Passmann: Alte weiße MännerEndlich ist er da – der Moment, auf den ich so lange gewartet habe: Sophie Passmann hat ein Buch geschrieben!

Sophie Passmann gehört zu den Leuten, die das Internet verstanden haben. Sie ist Influencerin, nur dass sie mir keine überteuerte Wimperntusche andrehen möchte, sondern eine klare politische Haltung. Auf Instagram folgen ihr rund 50.000 Menschen, auf Twitter über 70.000. Sie ist links, kritisch und witzig und schafft es, auch komplexe politische Sachverhalte für alle verständlich zu erklären. Außerdem ist sie Feministin. All diese Aspekte und ihre Literaturtipps, die meist genau meinen Geschmack treffen, machen mich zu einem ihrer Fans.

Gespannt hielt ich nun also vor ein paar Tagen ihr Buch in den Händen: »Alte weiße Männer«. Passmann reist einen Sommer lang durch ganz Deutschland, um sich mit prominenten Männern zu treffen, ihnen Fragen zu stellen und gemeinsam den Begriff des »alten weißen Mannes« zu reflektieren. Ihre Auswahl reicht dabei vom Internet-Experten Sascha Lobo über den grünen Robert Habeck bis hin zum Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert oder dem Chefredakteur der Welt, Ulf Poschardt.

Zunächst stutze ich ein wenig. Eine zentrale Forderung des Feminismus ist es ja, Männern Raum zu nehmen und ihn Frauen zu geben – mehr Bühne für weibliche Stimmen! Diese Forderung geht dem Thema des Buches offensichtlich völlig abhanden. Klar, Passmann stellt die Fragen und steuert die Gespräche, aber Antworten liefern ausschließlich weiße Männer. Ich beschließe, dem Konzept eine Chance zu geben und beginne zu lesen. Schnell merke ich: Es ist kein schlichtes Frage-Antwort-Spiel. Sophie Passmann beobachtet genau. Sie beschreibt detailreich die Orte der verschiedenen Treffen, den Eindruck, den die Männer auf sie machen und analysiert sehr klar die Aussagen, die gegeben werden.

Frauen erarbeiten sich mühsam eine Kultur des Netzwerkens, die bei Männern seit der Industrialisierung besteht. Denn selbst Frauen, die sich eigentlich vom Feminismus abgeschreckt fühlen, die nichts von Quoten halten und Bevorzugung vermeiden, weil sie nicht an Benachteiligung glauben, selbst denen ist ja daran gelegen, die offensichtliche Ungleichheit durch gezielte Frauenförderung auszugleichen. Frauenförderung ist für Frauen ähnlich verschwörerisch wie gemeinsames Rauchen vor der Kneipe. Nur dass wir später nicht an Krebs sterben, sondern an Altersarmut.

Ich begleite Frau Passmann also in schicke Büros, studentische Cafés oder auf die Picknickdecke. Die Auswahl ihrer Gesprächspartner ist gut getroffen, die Interviews könnten unterschiedlicher nicht sein. Ich entdecke in Kabarettist Claus von Wagner einen reflektierten und klugen Mann und in 68er-Ikone Rainer Langhans einen unfassbar dämlichen und arroganten Menschen.

Für diese meist authentischen Porträts bin ich dankbar, weil das Buch an vielen Stellen hält, was es verspricht, sodass ich einen Einblick bekomme, in die Gedanken und Überlegungen der einzelnen Personen und sie oft in ihrer Argumentation nachvollziehen kann (oft, nicht immer!).

Ein Schlichtungsversuch also. Doch bei einigen Männern habe ich das Gefühl, dass Passmanns Blick schon zu stark geprägt ist und sie das sieht, was sie sehen möchte. Das ist schade und ein wenig nervig. Außerdem stört es mich sehr, dass sie nicht konsequent gendert. Entweder man tut es oder man lässt es, aber auf einmal wieder von »Generalsekretären« statt von »Generalsekretär*innen« zu schreiben (insbesondere wenn die Rede von Annegret Kramp-Karrenbauer ist), wirkt wie eine große Schlamperei auf Seiten der Autorin und des Lektorats. Trotz dieser Kritik schreibt Passmann meist scharfsinnig und klug und lenkt das Buch geschickt auf einen feministischen Pfad. Dabei kommt sie immer wieder auf das Phämomen »alter weißer Mann« zurück.

Das, was wir den alten weißen Mann nennen, ist eigentlich der wütende weiße Mann. Wut sticht Alter. Die neue Rechte ist jung, die Identitären sind jung, die AfD-Fraktion im Bundestag stellt einige der jüngsten Abgeordneten im gesamten Parlament. Alter ist egal. Die Wut, mit der man dem Wandel begegnet, ist das Entscheidende.

Viele Passagen und Interviews im Buch gefallen mir, einige machen mich sehr unzufrieden. Was mir zu denken gibt: Passmann spricht fast ausschließlich mit Männern, die viel Macht haben und es gewöhnt sind, sich in der Öffentlichkeit zu äußern. Für mich aber ist der alte weiße Mann der politisch inkorrekte und selbstgefällige Onkel, der mich als junge Frau auf Familienfeiern belehrt oder der Lehrer, der meine Freundin auf WhatsApp belästigt und nicht einsehen will, dass er damit Grenzen überschreitet. Dem klassischen alten weißen Mann, dem Frauen im Alltag begegnen, wird keine Bühne geboten. Das ist auch absolut gut so, aber es bleibt fraglich, wie repräsentativ die Gespräche sind. Trotz vieler wahrer und kluger Gedanken muss ich gestehen, dass ich von Sophie Passmann mehr erwartet habe und das Konzept des Buches mich nicht abschließend überzeugt.

Sophie Passmann: Alte weiße Männer | Deutsch
Kiepenheuer & Witsch 2019 | 304 Seiten | Leseprobe und mehr | Bestellen