Der Roman spielt Ende der Siebziger in der rauen Welt des amerikanischen Mittelwestens, die von Armut und Kriminalität geprägt ist. Hier lebt und arbeitet der Sozialarbeiter Pete Snow. Sein Job ist es Kindern und Jugendlichen in schwierigen familiären Verhältnissen zu helfen und dies ist keine leichte Aufgabe. Das Leben in dieser Gegend im Nordwesten Montanas dreht sich um Alkohol und Drogen. Prügelleien und Schlägereien sind an der Tagesordnung. Darüber hinaus treiben Sekten und Nazi-Gruppen ihr Unwesen, für die die verzweifelten Menschen leichte Beute sind.
Petes Arbeit ist immer wieder von Rückschlägen geprägt. Die Frustration und seine Machtlosigkeit zermürben ihn langsam, aber stetig. Eines Tages wird er in die örtliche Schule gerufen, weil ein verwahrloster elfjähriger Junge aus der Wildnis aufgetaucht ist. Pete versorgt Benjamin und will ihn anschließend nach Hause begleiten. Die erste Begegnung mit dessen Vater geschieht über den Lauf eines Gewehres hinweg, denn Jeremiah Pearl ist ein paranoider Anarchist, der außerhalb des Gesetzes, inmitten der Wildnis, lebt und jeden Kontakt zur Welt abgebrochen hat. Die Regierung und deren Unterstützung lehnt Pearl ab. Pete möchte dem einsiedlerischen Verschwörungstheoretiker helfen, doch Pearl steht längst im Fadenkreuz von Polizei und FBI.
Auch Petes eigene Familie befindet sich in der Abwärtsspirale. Seine trinkende Frau Beth und er leben getrennt, sein Bruder Luke befindet sich auf der Flucht vor dem Gesetz und dann verschwindet auch noch Petes pubertierende Tochter Rachel.
Die Welt dieses Romans hat mich stark an Daniel Woodrells »Winters Knochen« erinnert, in dessen Verfilmung Jennifer Lawrence vor Jahren erste Berühmtheit erlangte. Die Trostlosigkeit und die allgegenwärtige Gewalt (in jeder erdenklichen Form), die hier geschildert werden, schnüren einem beim Lesen regelrecht die Kehle zu. Umso größer die Bewunderung für den Protagonisten Pete Snow, der trotz der Unzahl an beruflichen und privaten Problemen noch nicht abgestumpft ist und den Menschen zu helfen versucht.
Immer wieder wird die Frage gestellt, welche Perspektiven Kinder haben, die in solche Lebensumstände hineingeboren haben. Die Aussichten sind düster, denn auch die Eltern der vernachlässigten oder misshandelten Kinder haben bereits ein ähnliches Schicksal hinter sich. Alle sind in diesem Teufelskreis gefangen, der sich durch den wirtschaftlichen Verfall in den ländlichen Gegenden Amerikas immer noch weiter verschärft.
Der Roman ist hart und realistisch, oft melancholisch, manchmal deprimierend, niemals larmoyant. Es gibt berührende Momente, wenn verzweifelte Figuren trotz aller Tragödien ihre Menschlichkeit bewahren und über sich hinauswachsen. Andere dagegen geben auf, versuchen ihre Sorgen im Suff wegzuspülen. Die Gründe dafür sind stets nachvollziehbar, was ganz und gar dem Autor anzurechnen ist. Henderson betrachtet seine Figuren oft aus mehreren Perspektiven, dadurch muss man als Leser auch manchmal die Meinung über einen Charakter nachträglich revidieren.
»Montana« ist ein bewegendes und fesselndes Buch, das tief in seinen eigenen Kosmos hineinführt. Menschliche Abgründe werden ebenso faszinierend geschildert wie die atemberaubend schöne und raue Natur. Sprachlich sehr ansprechend, inhaltlich vielschichtig und trotz deprimierender Fakten mit einem Funken Optimismus ausgestattet. Ein Happy End wäre in diesem Buch zu viel verlangt, aber es gibt etwas Hoffnung.
Smith Henderson: Montana | Deutsch von Sabine Roth und Walter Ahlers
btb Verlag 2018 | 608 Seiten | Jetzt bestellen