Wer gerne Biografien liest oder sich für außergewöhnliche, um nicht zu sagen verrückte Menschen interessiert, sollte sich »Eat & Run«, die Autobiografie von Scott Jurek, nicht entgehen lassen. Scott Jurek ist 1973 geboren und somit zwar noch recht jung, um eine Biografie zu schreiben, aber er hat in seinem bisherigen Leben wohl mehr erlebt als viele andere – und auf jeden Fall mehr als genug, um eine spannende Biografie inklusive Sinnkrise in der Mitte zu füllen. Jurek ist Ultramarathon-Läufer, inzwischen von Beruf und einer der erfolgreichsten und bekanntesten der Welt. Doch wie er erzählt und im Untertitel andeutet, war seine Karriere alles andere als vorgezeichnet. Das allein würde noch nicht ausreichen, das Buch – gerade auch für nicht am Laufen oder an veganer Ernährung interessierte Leser – lesenswert zu machen, aber für Jurek ist Laufen nicht nur ein Sport.
Seine Kindheit ist geprägt von dem Leben auf dem Land in Minnesota, davon, dass seine Familie nicht viel Geld hat und seine Mutter an Multipler Sklerose erkrankt. Eine Folge davon ist, dass Scott Jurek sich um seine jüngeren Geschwister kümmern und mehr arbeiten muss als die meisten seiner Altersgenossen. Er mutmaßt, dass es zu seinem späteren Erfolg als Läufer beitrug, früh Schmerz ertragen gelernt zu haben, körperlich wie psychisch. Sein Talent fürs Laufen entdeckt er eher durch Zufall, und obwohl er sein Training dann doch irgendwann systematisch und professionell angeht, sieht er sich selbst stets als Existentialist in der Tradition Sartres und Camus‘ und hört nie auf zu fragen, was sein Leben, Laufen und Leiden für eine Bedeutung haben.
Zu seinen Bestrebungen als Existentialist gehört, dass er versucht, sich von den Grenzen und Erwartungen zu befreien, die seine Umgebung und Konventionen und auch sein eigener Körper ihm vorgeben – verrückterweise zum Beispiel auch, indem er mehrere über 100 Kilometer lange Rennen läuft, obwohl er verletzt ist. Der Hauptgrund, warum er sich ausgerechnet Ultraläufe, also alles, was länger als ein gewöhnlicher Marathon ist, ausgesucht hat, scheint ein Bedürfnis nach veränderten Bewusstseinszuständen zu sein. Denn bei einem Ultra könne man sich, so Jurek, mit ziemlicher Sicherheit darauf verlassen, dass so etwas eintritt.
Aus den Erfahrungen, die Jurek beim Laufen macht, zieht er viele interessante Schlüsse auf das Leben an sich. Bei allem existentialistischen Ernst und Leid ist diese Lebensgeschichte trotzdem höchst amüsant zu lesen, nicht zuletzt dank der humorvollen Art, mit der Jurek seine herausragenden Rennen und andere Läufer beschreibt, von denen die meisten ähnlich verrückt sind. Ich würde zum Beispiel erwarten, dass ein Profiläufer in der Nacht vor einem 246 Kilometer langen Rennen daran denkt Licht zu machen, wenn er aufsteht, um sich nicht die Zehen anzustoßen. Oder dass er aufs Fußballspielen verzichten würde – nicht so Scott Jurek.
Auf einem ersten Höhepunkt seiner Karriere angelangt, gerät er in eine Sinnkrise und stellt fest, dass er sich erneut von fremdbestimmenden Erwartungen – zum Beispiel der, dass er stets gewinnen oder Rekorde aufstellen müsse – befreien und eine neue Antwort auf die Frage finden muss, warum er eigentlich läuft. Ich bin mir nicht sicher, ob er sie am Ende nicht doch schuldig bleibt, aber auf eine Fortsetzung in ein paar Jahren wäre ich gespannt.
Ach ja, und für alle, die doch an veganer/vegetarischer Ernährung und/oder am Laufen interessiert sind, enthält das Buch natürlich einige wirklich leckere und machbare Rezepte sowie auch für normale Hobbyjogger relevante Lauf- und Trainingstipps.
Die deutsche Ausgabe »Eat & Run. Mein ungewöhnlicher Weg als veganer Ultramarathon-Läufer an die Weltspitze« ist 2014 im Südwest Verlag erschienen und auch als E-Book erhältlich.
Scott Jurek: Eat & Run. My Unlikely Journey to Ultramarathon Greatness | Englisch
Bloomsbury 2009 | 272 Seiten | Jetzt bestellen