Der Literaturkritiker und Kulturjournalist Sascha Seiler stellt in seinem im Verlag Andreas Reiffer erschienenen Buch »Bornheim Blues« die Behauptung auf, dass man »sich … meistens daran erinnert, wann, wo und wie man seine Lieblingsplatten zum ersten Mal gehört oder unter welchen Umständen man einen wegweisenden (oder vielleicht auch verstörenden) Film erstmals gesehen hat.« Dies ginge ihm auch mit der Lektüre von »Rohstoff« so, also Fausers autofiktionalen Schlüsseltext, der das Rohmaterial enthält, mit dem er letztlich alle seine Werke unterfüttert hat, von der Lyrik und den Songtexten bis zur (Kurz-)Prosa und den Essays. Selbst seine hartgekochten Kriminalromane speisen sich aus der Weltsicht, die Fauser in »Rohstoff« offenbart hat.
Wann habe ich selbst das erste Mal von Fauser gehört, etwas von ihm gelesen? Ich meine, es war im Frankfurter Social Beat-Magazin »Cocksucker«, irgendwann in den 90er Jahren. Da ging es um »Trotzki, Goethe und das Glück«, und ich lag in einem Braunschweiger Freibad und träumte von der Revolution und davon, ein großer Schriftsteller zu werden. Und war natürlich auf der Suche nach dem Glück!
Jörg Fauser kann tatsächlich durchaus der deutschsprachigen Beat-Literatur zugerechnet werden, wie sie bis heute von kleinen Zeitschriften wie dem »Drecksack« und der »Maulhure« am Leben gehalten wird (auch wenn er dieses Etikett für sich natürlich und gut begründet abgelehnt hätte). In diesem Genre schwingt immer viel Elendsromantik mit, das hohe Lied des Niedergangs wird gesungen, Erwerbs- und Obdachlosigkeit werden verklärt, Alkoholismus, Armut und Einsamkeit geradezu glorifiziert. Die Protagonisten (und wenigen Protagonistinnen) stehen immer am Rande der Gesellschaft – und sie sind immer am Arsch. So war es damals und so ist es heute. Das mag auf die Dauer ein bisschen eindimensional wirken, aber dieser dunkle Glamour entbehrt durchaus nicht einer gewissen Faszination. Charles Bukowski hat es in diesem Genre zu den Höchstleistungen gebracht, die auch heute noch lesenswert sind.
Doch wie sieht es mit Jörg Fauser aus? Kennt man den Namen noch? Liest man heute noch seine Bücher? Wer kennt heute noch den »Schneemann« und das »Schlangenmaul«? Wer hört Achim Reichels »Spieler«? Wer liest – außerhalb literaturwissenschaftlicher Zirkel – »Die Harry Gelb Story«?
Sascha Seiler hat sich – seit er ihn auf der Tribüne einer Turnhalle während seiner Schulzeit das erste Mal gelesen hat – intensiv mit Fausers Werk und Leben (inklusive dem bizarren Unfalltod als Fußgänger auf einer Autobahn) auseinandergesetzt. Daraus ist ein gut lesbarer und kluger Essay entstanden, der sich kritisch mit Fauser beschäftigt und sich auch traut, die dunkleren Stellen zu beleuchten.
Es geht darin also zum einen um große Literatur und zum anderen um die Bedingungen, unter denen diese entstanden ist, um den »Zeitgeist«, wie man es damals nannte. Der 1943 geborene und 1987 gestorbene Fauser ist ganz Kind der alten Bundesrepublik. Sie stand zum einen unter den Nachwirkungen der Nazizeit, deren Täter und Mitläufer immer noch wort- und handlungsmächtig waren, wenngleich sie nach und nach von Vertretern der jüngeren Generation in Frage gestellt, unter Druck gesetzt und abgelöst wurden. In diesem Spannungsfeld schrieb Fauser also seine Texte, weshalb der Nationalsozialismus immer wieder durchscheint und seine schwarzen Schatten auf die braven Bürgerinnen und Biedermänner wirft, deren fades Leben zu langweilig ist für den jungen Jörg Fauser, der sich deshalb todesmutig (oder -sehnsüchtig) in das abenteuerliche Leben eines Drogensüchtigen und Künstlers stürzt.
»Die dunkle Realität hinter der glitzernden Großstadtfassade, die gleichzeitig für jeden sichtbar offenliegt, mit dem sich die Literatur aber – gerade in Deutschland – nicht gerne beschäftigen möchte«, schreibt Seiler, »ist das große Thema in Fausers Gedichten und führt als narrativer Faden bis hin zu seinen späten Kriminalromanen. Und mittendrin der Dichter, der auf der Suche nach dem Rausch, dem Sex, der Inspiration ist, und der das Gedicht stets als temporäre Erlösung begreift, wohlwissend, dass dies ein Trugschluss ist, dass er sich in einem ewigen Zyklus aus Sucht, Rausch, Einsamkeit, Verzweiflung befindet.« Wer sich von diesen Sätzen angesprochen fühlt, sollte unbedingt zum »Bornheim Blues« greifen. Und danach natürlich zu Fausers Gedichten und Romanen.
Sascha Seiler: Bornheim Blues. Jörg Fauser – Ein Essay | Deutsch
Verlag Andreas Reiffer 2024 | 134 Seiten | Jetzt bestellen