Als ich vor einigen Wochen bei Facebook las, dass der Autor Saša Stanišić zu einer Lesung mit seinem Buch »Herkunft« nach Magdeburg kommt, habe ich mich riesig gefreut und sofort eine Eintrittskarte gekauft. Wann kommt schon mal ein so bekannter Schriftsteller in unsere Landeshauptstadt und ich kann hingehen, weil ich an diesem Tag Frühschicht und meinen Termin für die hiesige Tageszeitung anders organisieren konnte?

Auf der Leipziger Buchmesse 2019 habe ich Saša Stanišić während einer Lesung zum ersten Mal gehört. Nicht nur der Deutsche Buchpreis in diesem Jahr für »Herkunft«, sondern auch sein feinsinniger Humor weckten damals die Neugier in mir. Kurzerhand kaufte ich das Buch in der Messebuchhandlung. Im Herbst habe ich es meiner Schwägerin nach Warschau zum Geburtstag geschickt – leider ohne es damals zu lesen.

Die Stadtbibliothek Magdeburg hat es inzwischen aussortiert. Mein Bruder, der dort arbeitet, meinte, es werde nicht ausgeliehen. Wie ich zu manchen Büchern komme, habe ich auf diesen Seiten bereits erzählt. Dieses Buch ist zu mir zurückgekommen. Was für ein wunderbares Zeichen!

Stanišić wurde Mitte November 2022 sehr herzlich vom vollbesetzten Magdeburger Schauspielhaus empfangen. Als er erzählte, dass er vor Jahren bereits mit seinem ersten Buch (»Wie der Soldat das Grammofon repariert«) hier war, vom Buchhändler mit »Herr Stasinic« angesprochen wurde und er den Namen nicht korrigierte, hatte er auch den letzten »mitgeschleppten« Zuhörer auf seiner Seite.

Saša Stanišić musste nicht mehr betonen, dass er »richtig Lust« hatte, es war zu spüren. Allein die Art, wie er das Publikum beim Aussuchen der vorzulesenden Passagen einbezog, sprach für sich. Wen wunderte es noch, dass er seine Geschichten weniger las als vortrug, auf der Bühne hin- und herwanderte und immer wieder für Spontanlacher sorgte. Ob er nun die »Stafette der Jugend« getragen hat, in welchem Jahr und wie er währenddessen gegen das Pinkeln ankämpfte, war so spannend, dass das Publikum regelrecht an seinen Lippen hing. »Da richtet sich ein ganzes Buch mit der Vergangenheit ein, nicht mal wahr muss sie sein…«, kommentierte er seine authentisch vorgetragenen Erlebnisse.

Stiller wurden die Ausschnitte über den Krieg und seine »Herkunftslast«. Glaubwürdig gab er zu verstehen, dass er seinen Flüchtlingsstatus eben nicht immer erklären wollte, ebenso wie die Armut und seine Pickel in der Pubertät. Ehrlich sprach Saša Stanišić darüber, warum es für ihn keinen unbeschwerten Ort mehr gibt, was es mit den Fußnoten von Opfern und Tätern auf sich hat, warum seine Kindheit so dissonant war und seine Mutter in seinem Geburtsort Višegrad immer eine andere ist.

Staunen ließen die unterschiedlichen Ethnien allein in seiner Familie, die Spannungen und Absurditäten im Vorfeld des Krieges und wie in seiner Schule damit umgegangen wurde. In der Passage über »Dr. Heimat« führte er seine Herkunft ad absurdum und resümierte, dass diese doch Zufall ist – humorvoll, subtil, feinsinnig, poetisch und mit einem Fest an Methaphern! Nachdenklichkeit im Publikum.

Zu guter Letzt ließ er die Heldin sprechen, die keine mehr sein wollte (Aus dem Kinderbuch: »Hey, hey, hey Taxi«), die sich einfach nur mal das Mittelste zu sein wünschte. WJetzt ist sie hier in Magdeburg«, meinte Saša Stanišić mit einem Augenzwinkern.

Während ich mich am Büchertisch mit Saša Stanišić unterhielt, schnappte mir jemand die polnische Ausgabe des Buches vor der Nase weg. Spontan schrieb er seine E-Mail-Adresse in mein Buch. »Schreiben Sie mir, ich habe noch drei Exemplare zu Hause, ich schicke Ihnen eines«, war sein Kommentar dazu. Ein besonderer Abend über einen besonderen Menschen mit besonderen Geschichten. Letztere erhalten von mir eine unbedingte Leseempfehlung!

Foto: Kathrin Singer

Saša Stanišić: Herkunft | Deutsch
Luchterhand 2019 | 360 Seiten | Jetzt bestellen