Salman Rushdie: Die bezaubernde FlorentinerinSalman Rushdie, der Geschichtenerzähler zwischen Orient und Okzident. Herrlich fabulös und farbenprächtig kommt er in langen, manchmal schwer zu folgenden, weil verschlungenen Sätzen daher wie ein zahnloser, turbantragender Märchenerzähler, im gestreiften Kaftan, unter dem sich sein Bauch hervorwölbt wie bei einer Schwangeren, mit ausgetretenen Sandalen und einem zersausten Bart, in dem die grauen Haare Schlieren bilden wie in der Mähne eines alten erhabenen Wüstenlöwen.

So ähnlich sind die Sätze, in denen der Autor uns die Geschichte des Italieners Niccolo Vespucci erzählt, der 1572 nach Persien reist, um dem dortigen Herrscher, Padischah Akbar zu beweisen, dass er ein rechtmäßiger Erbe des Thrones von Persien ist.

Damit er überhaupt eine Audienz erhält, erzählt er die Geschichte der »bezaubernden Florentinerin«, der schönsten Frau auf der ganzen damals bekannten Welt; einer persischen Prinzessin, die das Wissen um ihre Schönheit einsetzt, um in einer von starken Männern mit schwachem Fleisch regierten Welt zu überleben; einer Frau, die von Dschingis Khan abstammt und auf den Schlachtfeldern zwischen Persern und Osmanen als Beute gehandelt wird, und die es schließlich ins italienische, von den Medici regierte, Florenz verschlägt. Und auch dort liegt »Mann« ihr natürlich zu Füßen. Und allein ihre Anwesenheit bringt den Stadtstaat zum Erblühen, werden Kriege gewonnen, steigt der Wohlstand und vermehrt Papst Leo X., ein Medici, den Landbesitz des Vatikan Stück für Stück. Und diese Frau soll die Mutter des Niccolo Vespucci sein.

Die geschilderten manchmal skurrilen Einzelheiten am Hofe des absoluten Herrschers lassen einen Schmunzeln. Da ist der Schmeichler, der nichts anderes zu tun hat, als dem Monarchen auf höchstem literarischen Niveau, na klar, zu schmeicheln. Oder die imaginäre Geliebte, die sich der Potentat erträumt hat, die eine eigene Dienerschaft und eigene Räumlichkeiten besitzt.

Wie Geister schwebten Königinnen durch seine Paläste, rajputische und türkische Sultaninnen spielten miteinander Fangen. Eines dieser königlichen Geschöpfe jedoch existierte tatsächlich nicht. Es war eine nur erdachte Frau, von Akbar erträumt, so wie sich einsame Kinder Freunde erträumen …

So fabuliert Rushdie. Und mittendrin gelingen ihm Sätze wie:

Die Menge war außer sich vor Wut und Angst, und Anfangs wichen alle vor dem irren Albinoriesen (Soldat) auf seinem Pferd zurück. Dann folgte ein seltsamer Augenblick, ein Augenblick jener Art, wie er das Schicksal von Nationen bestimmt, denn wenn die Menge die Angst vor einer Armee verliert, ändert sich die Welt.

Rushdie ist ein geistreich erzählter historischer Roman gelungen, der nicht immer leicht zu lesen ist, aber durch die farbenprächtige und prosaische, manchmal poetische Erzählkunst besticht. Ob die Fakten stimmen, das mag der Geschichtsinteressierte mit Hilfe des umfangreichen bibliografischen Anhangs nachrecherchieren. Aber ein Genuss ist das Buch für die Liebhaber schön formulierter Sätze, einer fließenden, rhythmischen Sprache, die sich oft mit abstrusen Abenteuern und einem schelmischen Augenzwinkern paart, allemal.

Salman Rushdie: Die bezaubernde Florentinerin | Deutsch von Bernhard Robben
rororo 2010 | 448 Seiten | Jetzt bestellen