Ruth Rendell: Der Fremde im HausCarl Martin wähnt sich auf der Sonnenseite des Lebens. Sein Erstling »An der Schwelle des Todes« wurde von einem Verlag angenommen und schont träumt er von einem sorglosen Leben als erfolgreicher Jungschriftsteller. Er ist glücklich mit seiner wunderbaren Freundin Nicola, und nach dem Tod seines Vaters hat er ein Haus in bester Lage mit der finanziell lukrativen Adresse Falcon Mews übernommen, welches jedoch für ihn schlicht zu groß ist.

Was liegt da näher als einen Teil der Räume zu vermieten? London ist ein sehr begehrter Wohnort und je besser das Wohnviertel, desto mehr Miete kann genommen werden; die potentiellen Mieter rennen einem die Bude ein. So auch bei Carl, der sich später wiederholt die Frage stellt, warum er dem Erstbesten den Zuschlag gegeben hat, statt in Ruhe eine Auswahl zu treffen. Ein Anflug von Bequemlichkeit, den er im Laufe des Romans bitter bereuen wird. Kurz nach dem Einzug des neuen Mieters beschließen Carl und Nicola, es auch räumlich dauerhaft miteinander zu versuchen: Sie verlässt ihre WG und zieht bei ihm ein.

Dermot McKinnon bekommt den Zuschlag für die freien Zimmer und zunächst herrscht eitel Sonnenschein, denn der neue Mieter ist ruhig, scheinbar anständig, solide und ein passionierter Kirchgänger. Ungewöhnlicherweise vereinbaren die beiden, dass die Miete am Stichtag bar übergeben wird, was die ersten zwei Monate auch problemlos funktioniert. Dann jedoch zahlt Dermot die Miete aus unerfindlichen Gründen etwas später, aber immerhin – er zahlt.

Das ändert sich jedoch schlagartig, als Dermot klar wird, dass es einen dunklen Fleck in Carls Leben gibt. Er erpresst ihn und teilt ihm unverblümt mit, dass er ab sofort dauerhaft mietfrei wohnen wird. Carl schäumt vor Wut, aber ihm sind die Hände gebunden. Sollte sich Dermot an die Polizei oder auch nur an die Zeitungen wenden, wäre es mit seiner erträumten Schriftstellerkarriere vorbei. Nach einiger Zeit zieht dann auch noch Dermots zukünftige Frau mit ein, ein unattraktives, scheinbar anspruchsloses Mauerblümchen, das in erster Linie dadurch auffällt, dass sie sich widerstandslos von McKinnon manipulieren lässt und sich außerdem um die Pflege des Gartens kümmert, welchen Dermot nun ebenfalls für sich beansprucht.

Das Schnorrerpack schlägt Carl gewaltig aufs Gemüt und seine Gedanken kreisen immer mehr um das, was in seinem Haus vorgeht und welche Unannehmlichkeiten ihm sein Mieter wohl als nächstes zumuten könnte. Das Ganze wird für ihn so dermaßen zu einer fixen Idee, dass sowohl seine Beziehung als auch sein zu schreibender zweiter Roman massiv darunter leiden. Er ist kaum noch in der Lage, ein unverfängliches Gespräch mit Nicola zu führen, und er leidet an einer veritablen Schreibblockade. Es muss sich gewaltig etwas ändern in diesem Haus…

»Dark corners« lautet der Originaltitel des Buches, und es sind wohl eher die dunklen Ecken des Verstandes gemeint als die dunklen Ecken Londons, von denen es zweifellos so einige gibt. Darauf deutet schon der Interviewausschnitt mit Ruth Rendell hin, der dem Buch vorangestellt wurde und in dem sie ihr Interesse für Psychopathen und deren Beweggründe erklärt.

»Dark corners« ist jedoch kein Kammerspiel, das nur aus den bereits genannten Personen besteht. Im Roman tauchen noch mehrere Nebenfiguren auf, die entweder direkt auf die bereits erwähnten Protagonisten Einfluss nehmen oder auf die selber kurz das Scheinwerferlicht gerichtet wird, ohne dass sie die Geschichte entscheidend voranbringen.

Beim Lesen des Buches schlichen sich mir zwei weitere Romane der Autorin ins Gedächtnis, »Die Unschuld des Wassers« (»The Water’s Lovely«, 2006) sowie »König Salomons Teppich« (»King Salomon’s Carpet«, 1991). Ersteres, weil – wie auch im hier vorliegenden Band – sympathische Figuren erfolglos gesucht werden. Carl ist wahrlich kein Sympathieträger und seine zeckenhaften Mieter schon gar nicht. Selbst die von Carl auf ein Podest gehobene Nicola bleibt eher blass, der Leser ist nur mäßig an ihr interessiert. Gleiches gilt für die Nebenfiguren. Des weiteren drängte sich mir (zumindest ein wenig) der Vergleich mit »König Salomons Teppich« auf, ein spannender Roman, in dem Ruth Rendell unter dem Pseudonym Pseudonym Barbara Vine zusätzlich einen sehr interessanten historischen Überblick über das Londoner U-Bahn-System gibt.

In »Der Fremde im Haus« wird in deutlich abgespeckter Form ein bisschen über die Londoner Buslinien referiert, denn Tom Milsom, einer der Nebendarsteller, ist mit der Zeit zum hingebungsvollen Erkunder seiner Stadt geworden, unter Zuhilfenahme der vielzähligen Buslinien – bis er ein einschneidendes Erlebnis hat.

Ruth Rendell ist 2015 gestorben. »Der Fremde im Haus« ist ihr letztes Buch.

Ruth Rendell: Der Fremde im Haus | Deutsch von Karin Dufner
Blanvalet 2019 | 304 Seiten | Jetzt bestellen