Rolf Dobelli: Massimo MariniMassimo Marini wird als Baby eines italienischen Gastarbeiterehepaares in einem Koffer in die Schweiz geschmuggelt. Neun Jahre müssen seine Eltern seine Existenz verheimlichen, um ihre Arbeitsbewilligung zu behalten. Massimos Vater, ein harter Arbeiter, schafft den Aufstieg zum Tunnelbau-Unternehmer – alles für eine bessere Zukunft des einzigen Sohnes. Massimos Leben verläuft jedoch alles andere als geradlinig. Es ist gekennzeichnet von dramatischen Tiefen und Höhen:

»Vom italienischen Immigrantenkind zum Züricher Gesellschaftslöwen. Vom Opernhausdemonstranten zum Opernhaussponsor. Vom Existenzphilosophen zum Bauunternehmer. Vom Linken zum Rechten. Vom Tiefen zum Hohen. Vom Süden zum Norden …«

Der Bau des Gotthardbasistunnels wird zu seinem größten unternehmerischen Coup. Auch Marinis Privatleben könnte zu dieser Zeit nicht glücklicher sein, und doch bricht er aus dieser Ehe aus. Er verliebt sich in eine junge Cellistin aus dem Schweizer Geldadel. Massimo Marini greift nach den Sternen und fällt.

Dobelli macht in seinem Roman das Schicksal einer italienischen Einwandererfamilie in der Schweiz der fünfziger Jahre erlebbar und schildert ebenso plastisch den Durchstich des Gotthardtunnels in der Gegenwart, im Mittelpunkt die äußerst schwierige Vater-Sohn-Beziehung. Er lässt den Leser am verpfuschten Leben einer missbrauchten Frau teilhaben und stellt sich den allgegenwärtigen Auseinandersetzungen zwischen Freundschaft und Konkurrenz, Anerkennung und Eifersucht. Dabei bedient sich Rolf Dobelli einer dichten wie präzisen Sprache. Kunstvoll, einem Architekten gleich, zeichnet er seine Geschichte.

Erzählt werden die Geschehnisse von Marinis Anwalt Marc Wyss aus einer psychiatrischen Klinik. Der ist von dessen Geschichte genauso magisch angezogen wie in sie verwickelt. Sie hat ihn in eine tiefe, kurzzeitige Depression gestürzt. Nun soll Wyss die Ereignisse zu Therapiezwecken rekonstruieren. Er scheint bei seinen Schilderungen nichts auszulassen und beschreibt sich und seinen Klienten sehr präzise. Eine tragische Geschichte bringt er zu Papier, in deren Mittelpunkt die Entführung und spätere Ermordung des fünfzehn jährigen Sohnes von Massimo, Raffael Marini, rückt. Dass die Ereignisse so außer Kontrolle geraten, hat niemand der Beteiligten gewollt, aber auch nicht verhindern können.

Mit diesem Roman ist Dobelli ein beeindruckendes Kunststück gelungen, dessen unabsehbare Begebenheiten den Leser einem Strudel gleich in die tiefsten Abgründe menschlicher Charaktere hinunter reißen. Klug hat Dobelli sein Buch von zwei Zitaten aus Georg Büchners Drama »Woyzeck« eingerahmt. Ob Marini wie Büchners Held ein guter Mensch ist, der keine Moral hat und zudem auch noch zu viel denkt, ist für den Leser eine harte Nuss. Lange wirkt die Geschichte nach und die beteiligten Figuren graben sich ins Gehirn. Allen voran: Massimo Marini.

»Moral das ist, wenn man moralisch ist.«
(Georg Büchner, »Woyzeck«, 5. Szene)

Rolf Dobelli: Massimo Marini | Deutsch
Diogenes 2012 | 375 Seiten | Leseprobe und mehr | Bestellen