Die meisten Menschen würden sagen, sie arbeiten, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Abgesehen natürlich von den wenigen Exemplaren, die ihren Job als die totale Erfüllung ansehen und jeden Tag liebend gerne zur Arbeit gehen: Die brauchen hier nicht weiterlesen.
Aber was wäre, wenn wir nur deshalb Geld ausgeben, weil wir arbeiten? Genauer gesagt: um das schlechte Gefühl dabei zu kompensieren, dass eben doch die Mehrheit von uns in Jobs gefangen scheint, die wir eigentlich nicht sonderlich gern machen. Dieser interessante Gedanke ist die Grundlage von Robert Wringhams Buch »Escape Everything! Escape from work. Escape from consumerism. Escape from despair«. Auf Deutsch ist es unter dem Titel »Ich bin raus: Wege aus der Arbeit, dem Konsum und der Verzweiflung« bei Heyne erschienen.
Robert Wringham, der seine Werke unter einem Pseudonym veröffentlicht, ist Humorist und Kabarettist und schreibt auch sehr unterhaltsam, will seine Thesen aber durchaus ernst verstanden wissen. Wie er in »Escape Everything!« darlegt, müsste in unserer Gesellschaft fast niemand mehr arbeiten, nur um zu überleben und seine Grundbedürfnisse zu decken. Zumindest nicht 40 Jahre lang 40 Stunden die Woche. Überdächten wir einmal unsere wahren Bedürfnisse, kämen wir nach Wringhams Berechnungen locker mit zwei Arbeitstagen die Woche oder mit befristeten Tätigkeiten wie Projektarbeit aus und müssten nicht so viel kostbare Lebenszeit im Büro verschwenden:
Consumerism is the main reason we end up working so much. If we worked to provide ourselves with the basics – food, shelter, clothes, the odd treat – money wouldn’t be a problem. We’d either work a two-day week or simply retire with a bulging purse at the age of 33.
Um das Ziel, weniger oder gar nicht mehr arbeiten zu müssen, zu erreichen, empfiehlt Wringham einen minimalistischen Lebensstil. Zum Beispiel schlägt er vor, sich einfache, kostengünstige Hobbys wie Spazierengehen zu suchen, öfter selbst zu kochen, kein Geld mehr für Dinge auszugeben, die man nicht unbedingt braucht oder schon doppelt hat, auf Auto und Wohneigentum zu verzichten oder irgendwo zu wohnen, wo die Mieten billiger sind. Schließlich, so Wringham, brauchen wir unsere Autos in erster Linie nur deshalb, um zur Arbeit zu kommen, und sind in der freien Wohnortwahl nur deswegen eingeschränkt, weil wir dort jeden Montag um 8 Uhr antanzen müssen. Und wie viele Menschen, fragt Wringham, kaufen sich nur deshalb eine Wohnung oder ein Haus, um die Würde wiederherzustellen, die ihnen durch die Fremdbestimmung der Arbeitswelt abhanden gekommen ist?
Ganz philosophisch, aber auch konkret und praktisch, stellt sich Wringham zunächst der Frage, was ein glückliches Leben ausmacht. Er kommt auf folgende Punkte: optimale Gesundheit, so viel freie Zeit wie möglich, ein paar verlässliche Freundschaften, die Fähigkeit, seine Umgebung zu schätzen, Sinnesfreuden, zweckgerichtete und zweckfreie Stimulation der Intelligenz, etwas Kreatives zu erschaffen, das einen zufriedenstellt und auf das man stolz ist, eine saubere, würdevolle Unterkunft, einige gute Gewohnheiten, auf die man stolz ist.
Es überrascht nicht, dass Wringham ein Verfechter des bedingungslosen Grundeinkommens ist. Aber er präsentiert auch andere verschiedene Ansätze, der Arbeitswelt zu entkommen, und bietet dafür sehr detaillierte und praktische Lösungen. Ein erster Schritt wäre zum Beispiel, jede Anschaffung und alles, wofür man Geld ausgibt, gründlich zu hinterfragen. Aber selbst wenn man nicht vorhat, Wringhams Vorschläge in die Tat umzusetzen, ist »Escape Everything!« als inspirierende Kritik an unserer Konsum- und Leistungsgesellschaft überaus lesenswert.
Was wäre, fragt der Autor, wenn alle sich darauf besinnen, weniger zu konsumieren, einfacher zu leben und dafür mehr Freiheit und freie Zeit zu haben? Nicht nur würden viele von uns ein glücklicheres Leben führen, es würde auch gleich die Ressourcen und den Planeten schonen. Immer wieder wird Wringham vorgeworfen, dass das System als Ganzes zusammenbrechen müsste, wenn sich alle aus der Arbeitswelt zurückzögen. Dagegen hält Wringham seinen Entwurf einer – vielleicht, aber nur vielleicht – utopischen Gesellschaft, die mehr im Einklang mit sich selbst und der Umwelt lebt:
If we were all minimalists instead of conspicuous consumers, there would be less demand on the world’s resources and we’d have a smaller, less berserk economy (…) If we all rejected the culture of ›bigger, faster, more violent‹, we’d create a culture of ›smaller, slower, gentler‹. Our current environmental and existential problems are not the result of small, slow or gentle.
Und: Es geht auch mit Kindern.
Robert Wringham: Escape Everything!
Escape from work. Escape from consumerism. Escape from despair. | Englisch
Unbound 2016 | 256 Seiten | Jetzt bestellen