Es war eine lange Nacht, aber so sicher, wie man von Lobbyisten einen Blowjob bekommt, wälzte sich am Ende der Morgen heran, und die Deckenkacheln erwachten flackernd wieder zum Leben. Die Zellentür schob sich widerstrebend vierzig Zentimeter weit auf, und eine flotte kleine Drohne auf Rädern flitzte durch den Spalt herein, mit etwas, das einem Frühstück ähnelte. Sie fand mich, vermutlich anhand meiner Körperwärme, kam zur Koje herübergerollt, auf der ich im Schneidersitz hockte, und blieb dort wie ein erwartungsvoller Welpe stehen. Das Aroma von billig gedrucktem Schinkenspeck und gepfefferte, Reis wehte vom Teller zu mir herauf.
Hakan Veil ist eine menschliche Kampfmaschine, ein so genannter Overrider. Sein Körper wurde technisch und organisch stark modifiziert. Deshalb muss er jedes Jahr vier Monate im Koma verbringen, um diese Veränderungen zu verkraften. Trotzdem ist er emotional leicht reizbar und neigt permanent zu gewalttätigen Ausbrüchen. Seine ehemalige Firma hat ihn fallenlassen, weshalb er dringend benötigte Updates für seinen Körper nicht mehr erhält. Also muss er sich als Söldner und Leibwächter auf dem Mars durchschlagen.
Zum Zeitpunkt der Handlung wird der Versuch, den Mars in eine zweite Erde zu verwandeln, allgemein als gescheitert betrachtet. Das Terraforming des Planeten macht keine Fortschritte mehr. Der Enthusiasmus der Gründerzeit ist verschwunden und stattdessen haben sich Verbrecherbanden auf dem roten Planeten breitgemacht. Die Konzerne versuchen nur noch den höchstmöglichen Gewinn herauszuschlagen, bevor sie sich endgültig zurückziehen. Dementsprechend gleichen die Städte auf dem Mars einer dreckigen Welt, wie wir sie aus »Blade Runner« kennen.
Auch in der Mars-Metropole Bradbury (!) herrschen Korruption und Kriminalität. Als eine Gruppe Revisoren von der Erde eintrifft, ahnen viele Marsbewohner, dass es sich nicht um eine gewöhnliche Kontrolle handelt, denn die Gruppe hat die Stärke einer Invasionsarmee. Die Revisoren engagieren auch Hakan Veil. Er soll die Spezialgentin Madison Madekwe bei ihrer Suche nach einem verschwundenen Lotto-Millionär unterstützen, dafür winkt ihm ein ersehntes Rückflugticket zur Erde.
»Mars Override« handelt nicht von Sternreisen und Raumschiffschlachten, sondern ist ein knallharter hardboiled-Thriller um einen zynischen und brutalen Ex-Söldner auf dem Mars. Die Krimihandlung spielt vor dem Hintergrund einer technisch und gesellschaftlich fortgeschrittenen Zukunft, und der Protagonist prangert dabei so manchen Missstand an, der aus heutiger Sicht gar nicht so abwegig erscheint. Der große Unterhaltungswert entsteht dadurch, dass hier eine typische Film-Noir-Schnodderschnauze eine futuristische Welt beschreibt und dafür viele schöne Vergleiche findet.
Morgan investiert viel Zeit, um möglichst viele Aspekte dieser Zukunftswelt zu behandeln. Die Verschmelzung von Mensch und Technik erinnert sehr an die Cyberpunk-Romane von William Gibson. Die Menschen erhalten beispielsweise ihre Upgrades über herumschwirrende Codier-Fliegen. Der Autor beschränkt sich aber nicht auf eine spannende Handlung, sondern schafft auch ein überzeugendes Umfeld. Das gelang ihm bereits in den drei Takeshi-Kovacs-Romanen (»Das Unsterblichkeitsprogramm«, »Gefallene Engel« und »Heiliger Zorn«), auf denen die Netflix-Serie »Altered Carbon« basiert. Aber hier spielt die Handlung noch weiter in der Zukunft und der Ort ist viel exotischer.
Fazit: Harte Macho-Action mit einem zynischen Helden vor überzeugender Zukunftskulisse, für Leser, die sich nicht von einer knüppelharten Sprache abschrecken lassen.
Richard Morgan: Mars Override | Deutsch von Bernhard Kempen
Heyne 2019 | 736 Seiten | Jetzt bestellen