Rick blickt über den Kaffeetisch und sagt dem Agenten aufrichtig: »Wissen Sie, Herr Schwarz, es gab mal eine Zeit, da hatte ich Potenzial. Ja, das hatte ich. Sie können es in einigen meiner Arbeiten sehen. Sie können es an Bounty Law sehen. Besonders, wenn ich solide Filmpartner hatte. Wenn ich und Bronson vor der Kamera standen, oder ich und Coburn, oder ich und Meeker, oder ich und Vic Morrow. Da war was! Aber das Studio hat mich immer wieder in Filme mit verblühten alten Säcken gesteckt. Aber ich und Chuck Heston? Das wäre was anderes gewesen. Ich und Richard Widmark, ich und Mitchum, ich und Hank Fonda, das wär was gewesen, das wär was anderes gewesen! Und in einigen der Filme ist es da.«
Schauspieler Rick Dalton und sein Stuntdouble Cliff Booth haben ihre beste Zeit in Hollywood längst hinter sich. Rick wird als Bösewicht-der-Woche in belanglosen Fernsehserien verheizt und muss sich damit abfinden, dass der große Erfolg nicht mehr kommen wird. Aber ganz Hollywood verändert sich in diesen Tagen und junge Filmemacher beginnen das Studiosystem zu verändern. Ricks neuer Nachbar ist der bekannte Regisseur Roman Polanski mit seiner Ehefrau Sharon Tate, und als diese das Interesse von Charles Manson und seinen fanatischen Anhängern auf sich ziehen, verändert das auch Ricks Leben auf dramatische Weise.
Was soll man noch zu Quentin Tarantino und seiner Bedeutung für das Kino schreiben? Jedem neuen Film wurde damals sehnsüchtig entgegengefiebert. Ich glaube nicht, dass man dieses Gefühl heute noch nacherleben oder auch nur nachvollziehen kann, wenn es möglich ist, das Gesamtwerk Tarantinos an einem Wochenende wegzubingen. Zumal jeder inzwischen wahrscheinlich Dutzende von schlechten Kopien gesehen hat. Tarantino-Epigonen schossen in den Neunzigern wie Pilze aus dem Boden, und jeder versuchte diesen Stil zu kopieren, dessen Reiz eben nicht nur in cooler Gewalt und (scheinbar) belanglosem Geplauder besteht. »Pulp Fiction« kann man immer wieder genießen, während man bei den unzähligen Nachahmern schon beim ersten Ansehen mit den Augen rollt.
Nun hat Quentin Tarantino seinen ersten Roman vorgelegt. Das Buch zum Film, wie es angepriesen wird. In den Achtzigern und frühen Neunzigern war dieses Genre auch in Deutschland das sehr beliebt. Buchversionen der Drehbücher, die unter anderem auch Szenen enthielten, die es nicht in den fertigen Film geschafft hatten oder bewusst als Ergänzungen gedacht waren, um den Filmcharakteren mehr Tiefe zu verleihen.
Bei »Es war einmal in Hollywood« handelt es sich nicht einfach nur um eine Nacherzählung der Filmhandlung in ausgeschmückter Form. Wer den Roman zuerst liest, wird wahrscheinlich enttäuscht sein, denn ihm fehlt ein roter Faden, den der Film darstellt. Stattdessen wird die Vergangenheit der Protagonisten genauer beleuchtet, besonders die des Stuntmans Cliff Booth. Aber es gibt auch unzählige Filmanekdoten und seitenlange Inhaltsbeschreibungen der Serien, in denen Rick Dalton mitgespielt hat. Es gibt lange Passagen über das alte und neue Hollywood, über Filme, Serien und ihre Darsteller. Aber wen hätte bei Tarantino etwas anderes gewundert?
Das alles erfolgt nicht chronologisch. Die Handlung springt hin und her, folgt einzelnen Figuren und hangelt sich anhand ihrer durch die Filmgeschichte Hollywoods bis zum Ende der Sechziger. So wird zum Beispiel der Showdown des Films auf Seite 159 als halbseitige Anekdote abgehandelt.
Der Film und seine Handlung stehen also an erster Stelle, das Buch ist mehr eine Ergänzung. Aber eine wirklich tolle und sehr befriedigende Ergänzung. Offene Fragen werden im Roman beantwortet und er stellt einen alternativen Blick auf die Ereignisse dar. Alles, was nicht im Film gezeigt wurde oder dort nicht hineinpasste, bekommt man nun in Romanform nachgeliefert.
Die beste Reihenfolge ist deshalb: Film – Roman – Nochmal Film. Viel Vergnügen!
Quentin Tarantino: Es war einmal in Hollywood | Deutsch von Thomas Melle und Stephan Kleiner
Kiepenheuer & Witsch 2021 | 416 Seiten | Jetzt bestellen