Mit seiner aktuellen Publikation »1923 Endstation. Alles einsteigen!«, erschienen im Berenberg Verlag, nimmt der Buch-, Drehbuch- und Theaterautor Peter Süß seine Leserschaft mit auf eine Reise durch ein Jahr, das in den Schulbüchern eher einen kümmerlichen Platz einnimmt. Und doch läuft das Krisenfass der jungen Weimarer Republik in diesem Jahr über.
Peter Süß inszeniert diese zwölf Monate gekonnt und präsentiert sie nahezu filmisch in größeren Abschnitten. Realistisch fängt er verschiedene Stimmungen ein, zitiert Originalstimmen und öffnet den Blick mit kaleidoskopischen Augen. Die richtet er in chronologischer Abfolge auf zentrale Ereignisse, mal kurz und prägnant, mal ausschweifend anekdotisch. So wähnt man sich in einem Abschnitt inmitten einer opulenten Revue-Bühne, ein paar Seiten weiter glaubt man, ein illustriertes Magazin zu studieren.
Die Leserin findet beinahe alle Rubriken: Politik, gesellschaftliche Themen, Wirtschaft, Kultur sowie Klatsch und Tratsch aus der Unterhaltungsbranche. Dabei deckt Peter Süß so viel Gegensätzliches auf, dass einem beinahe schwindelig wird. Unvorstellbar die restlos außer Kontrolle geratene Inflation und die damit verbundenen Existenznöte eines Großteils der Bevölkerung! Erneute Kriegsängste wegen der Besetzung des Ruhrgebiets durch belgische und französische Truppen!
Gebannt liest man, wie Adolf Hitler die politische und wirtschaftliche Schieflage ausnutzt und zunächst in Bayern an Einfluss gewinnt.
Die Verheerungen des Ersten Weltkriegs und die Wirren der Nachkriegszeit haben den einstigen Gefreiten auf die politische Bühne gespült. Jetzt ist er der Star des Abends, alle Demütigungen der letzten Jahre – in einer guten Stunde getilgt. Die mächtigsten Männer Bayerns an seiner Seite, den Nationalheroen Ludendorf neben sich. Der verhockte Eigenbrötler, 34 ist er, nichts hat er gelernt, wenig bis nichts geleistet in seinem Leben, mit wenig mehr gesegnet als rednerischem Furor und brachialer Rücksichtslosigkeit, jetzt betritt er die große, die nationale Szene…
Auch wenn sein Putschversuch vom 8./9. November scheitert und ihm eine Haftstrafe beschert, haben die Ereignisse dieser beiden Tage verheerende Folgen für Deutschlands weitere Entwicklung.
Beinahe unvereinbar mit dieser Düsternis erscheinen die zahlreichen funkelnden Zerstreuungen, sei es in Form von unerschwinglichen luxuriösen Angeboten in den Kaufhäusern oder der Anziehungskraft des Geheimnisvollen und Phänomenalen. Wo lauert die nächste Katastrophe? Wo lässt es sich so richtig schwofen?
Amüsiert liest man, welche Künstler*innen und Literaten die größte Not leiden, wie Bertolt Brecht vom Misserfolg in den Theaterhimmel aufsteigt und wie es um sein Liebesleben bestellt ist. Welcher Schriftsteller beginnt mit dreiunddreißig Jahren vor lauter Verzweiflung eine Banklehre, wer lernt seine letzte große Liebe kennen, wessen Träume platzen und wer wird gerade erst geboren?
Das unterhaltsame Buch kommt im liebenswert kecken Ton daher, abgerundet mit einem Hauch von Ironie. Süß‘ Erfahrungen aus Film und Fernsehen sorgen für die passenden Bilder im Kopf. Diese ebenso spannende wie lebendige Geschichtsstunde erhält eine unbedingte Leseempfehlung!
Peter Süß: 1923 Endstation. Alles einsteigen! | Deutsch
Berenberg Verlag 2022 | 366 Seiten | Jetzt bestellen