Yvette Nabel, eine junge Tontechnikerin, lag während der Nachbearbeitung des Films »Reds« (1981) vor Schmerz auf dem Boden. »Ich hatte eine Gallensteinkolik und ich fragte: Kann ich bitte gehen?« Warren Beattys Antwort lautete: »Nein, wir könnten Dich noch brauchen.«
»Star – The Life & Wild Times of Warren Beatty« ist voller Geschichten wie dieser. Eine seiner vielen Eroberungen berichtete, dass der Star selbst um die Anordnung seiner Augenwimpern besorgt war. Ermöglichte sein Aussehen doch erst die steile Karriere, die er später machen sollte: Erst als Sexspielzeug von Joan Collins, dann als Augapfel von Tennessee Williams und William Inge. Die beiden homosexuellen Dramatiker waren so verzückt, von dem bis dato unbekannten Jüngling, dass sie darum kämpften ihn in ihren Stücken unterzubringen.
Trotzdem dümpelte Beattys Karriere lange vor sich hin, bis er mit »Bonnie & Clyde« – den er auch produzierte – zeigte, dass er mehr zu bieten hat, als ein ansehnliches Gesicht. Der Film war der Startschuss für das »New Hollywood«, das kurz darauf die Industrie revolutionierte. Durch einen cleveren Schachzug strich Beatty zudem 40 Prozent der Gewinne ein.
Im folgenden Jahrzehnt war Beatty der ungekrönte König von Hollywood. Sein Spitzname: »Der Profi«. Seine Komödien »Shampoo« (1975) und »Der Himmel soll warten« (1978), die Kritiker und Publikum überzeugten und zementierten seinen Ruhm. Einige (unter ihnen Peter Biskind) sahen ihn als zweiten Orson Welles. Doch wo Welles alle Disziplinen des Mediums selbst beherrschte, war Beatty stets auf Helfer angewiesen. Sein Rezept war denkbar einfach: Heuere nur die besten Leute an, bringe sie an den Rand des Nervenzusammenbruchs und streiche hinterher den ganzen Ruhm ein.
Trevor Griffiths, sein Co-Autor bei »Reds«, hatte gerade seine Frau bei einem Flugzeugunglück verloren. Als er sich um seine Kinder kümmern wollte, bekam er es mit Beatty zu tun, der Griffiths darüber informierte, er habe für die Dauer der Produktion all seine Rechte auf ein Privatleben verwirkt. Der Perfektionist ließ für den Schnitt des Films 70 Mitarbeiter 18 Monate lang fast rund um die Uhr schuften. Eine der Assistentinnen unternahm in dieser Zeit einen Selbstmordversuch. Obwohl Beatty alles verlangte und fast nichts gab, kamen seine Opfer immer wieder, um sich aufs Neue quälen zu lassen. Allein die Aufmerksamkeit, die er ihnen widmete, schien ihnen zu schmeicheln.
Auch Peter Biskind zählt zu seinen Opfern. Angeblich fing er mit seinem Buch auf Anregung des Schauspielers an, der offen wie nie Rede und Antwort stand. Als es jedoch gedruckt vorlag, ließ er er durch seinen Anwalt verlauten, sämtliche Aussagen seien verfälscht worden.
»Star« ist trotz einiger Längen vor allem durch die Akribie des Autors faszinierend. Auch wenn man viel über die Filme erfährt: Biskind ist vor allem von Beattys sexueller Lebensleistung besessen. Laut Biskind hat Beatty im Laufe seines Lebens mit etwa 12.775 Frauen geschlafen. »Ach was!« hätte ein jüngst verstorbener Humorist da sicher gesagt. Doch dieses ständige herunterrattern von Namen und Sexualpraktiken ist auf Dauer ermüdend. Gerade Biskinds Ausführlichkeit lässt hier vermuten, dass auch er dem großen Blender auf den Leim gegangen ist. »Komplementärnarzismus« nennt man so was, glaube ich.
Biskind verlässt sich ganz auf die Aussagen seiner Zeitzeugen. Selbst nach 627 Seiten hat man nicht das Gefühl, dass der Autor überhaupt versucht hat, den Menschen, den er beschreibt, zu entschlüsseln. Vielleicht, weil er vermeiden möchte, sein Idol damit zu verärgern. Vielleicht auch, weil er befürchtet, dass sich hinter Beattys geheimnisvoller Fassade nichts befindet, als ein oberflächlicher Egomane. Wenn man sein filmisches Œuvre betrachtet, sieht die Bilanz ziemlich mager aus. Sein Meisterwerk »Reds« (1981) ist heute fast vergessen. Sein letzter Film liegt über zehn Jahre zurück. Zwei Drittel seiner Streifen waren Misserfolge.
Beattys Ego war es schließlich, das ihm den Hals brach. In späteren Jahren, als sein Stern langsam verblasste, waren immer weniger Studios bereit, sich seinen Forderungen zu beugen. Obwohl »Dick Tracy« – bis heute sein letzter großer Erfolg – viel Geld einspielte, waren die Dreharbeiten für alle Beteiligten eine Tortur. Junge Stars wie Tom Cruise waren da wesentlich pflegeleichter.
Im Gegensatz zu seinem Erzfeind Robert Redford war Beatty auch nie bemüht, den Anschluss zu behalten. Nach vier kostspieligen Flops in Folge war er unvermittelbar und fristet seitdem sein Leben als später Vater im Vorruhestand. Doch vor einiger Zeit meldete sich der inzwischen 75jährige zurück und kündigte einen Film über das Leben von Howard Hughes an. Man darf gespannt sein.
Peter Biskind: Star – The Life and Wild Times of Warren Beatty | Englisch
Simon & Schuster 2010 | 627 Seiten | Nur noch antiquarisch erhältlich