Pete Dexter: Paris Trout»There are things like that buried in everybody,« he said. »That doesn’t mean you want to act on it, just that it’s there. We’re all flawed people.«

Pete Dexters Roman »Paris Trout« hat nichts mit der französischen Stadt oder ihren Forellen zu tun. Paris Trout ist der Eigenname des Mannes, der eines Tages unerwartet zum Verbrecher wird, als er auf zwei unschuldige und wehrlose Frauen schießt – die vierzehnjährige Rosie und ihre Ziehmutter Mrs. McNutt. Wir befinden uns in Georgia und damit in den Südstaaten der USA, zwar im 20. Jahrhundert, aber da Trout ein Weißer ist, die beiden Frauen Schwarze, kommt es nur zu einem Gerichtsverfahren, weil Rosie ihren Verletzungen wenige Tage später erliegt.

»Paris Trout« erinnert also von der Ausgangssituation her ein wenig an die anderen Romane, die als Justizdramen die rassistischen Gesetzespraktiken des amerikanischen Südens thematisieren – man denkt an Harper Lees »To Kill a Mockingbird«, oder auch an John Grishams »A Time To Kill«, und man denkt, man hat die Geschichte schon oft genug gehört. Doch rückt in Dexters Roman die schwarz-weiß Ungerechtigkeit bald ein wenig in den Hintergrund. Schließlich bekommt Rosie ihr Gerichtsverfahren, der Staatsanwalt und sogar Trouts eigener Verteidiger, Harry Seagraves, sind im Grunde auf der Seite der Ankläger, und Trout wird zu einer Gefängnisstrafe verurteilt – die diskrimminierenden Missstände scheinen kurz vor der Überwindung zu stehen.

Im Mittelpunkt des Interesses stehen andere Dinge. Da ist zum Beispiel die Dynamik innerhalb einer städtischen Gemeinde, wenn eines ihrer etablierten Mitglieder plötzlich zum Verbrecher wird. Niemand würde Trouts Handlung rechtfertigen, niemand kann sie sich wirklich erklären, doch fast alle – vom Richter bis zu dem Polizisten, der mit seiner Verhaftung beauftragt wird – haben das Gefühl, sich bei Trout dafür entschuldigen zu müssen, dass sie ihn mit den Konsequenzen seiner Tat belangen. Es ist der ganzen Gemeinde unangenehm, sie ist peinlich berührt davon, dass Trout durchdrehte, und wundert sich mehr über seine psychische Verfassung, als dass sie Gerechtigkeitsempfinden an den Tag legte.

Auch die Figur des jungen Anwalts Carl Bonner, der nach achtjähriger Abwesenheit aus Massachusetts mit seiner Frau in seine Heimatstadt zurückkehrt, macht sich in Dexters Roman nicht etwa zum Anwalt der Schwarzen und setzt dadurch seine eigene glänzende Karriere in Gang, nein, es geht auch hier eher um die Schwierigkeiten der Bonners, ihren Platz in der Gemeinde zu finden, darum, dass Bonner in den Augen seiner Frau ein anderer Mensch innerhalb dieser Gemeinde ist als außerhalb, und um die Belastungen, denen ihre Ehe deswegen ausgesetzt ist.

Das Motiv für Trouts Handlung ist schlicht, dass die Familie der McNutts ihm Geld schuldet. Einerseits scheint Trout nie auf einer bewussten, rationalen Ebene einzusehen, dass er ein Unrecht begangen hat, oder dass seine Tat vollkommen unverständlich ist und auf einem rein sadistischen Impuls beruht; ganz sicher gibt er es niemand anderem gegenüber zu. Bei allem Gefühl, rechtens gehandelt zu haben, machen sich bei Trout andererseits Anzeichen bemerkbar, dass er von Schuldbewusstsein gequält wird: Er redet mit sich selbst, er verwahrlost zusehends, er leidet unter Paranoia und er misshandelt seine Frau Hanna.

Hanna ist eine der ersten, die Trouts Mord offen verurteilen. Obwohl sie sich Trout auf eine dunkle Art verbunden fühlt, lässt sie sich seine Misshandlungen nicht gefallen, sondern setzt sich gegen alle Widerstände, auf die ihr Verhalten in der Gemeinde trifft, zur Wehr und strebt die Scheidung an. Trouts Anwalt Seagraves, mit dem sie ein Verhältnis eingeht, scheint sich lange Zeit in einem ähnlichen double bind gegenüber Trout zu befinden. Er braucht viel länger als Hanna, um sich von dem Gefühl freizukämpfen, Trout und dem, was er repräsentiert, auf eine bestimmte Art verpflichtet zu sein. An einer ähnlichen Unentschlossenheit kränkeln mehrere in diesem Buch.

Bemerkenswert ist, dass in »Paris Trout« alle Entwicklungen zu nichts führen. Der gewonnene Gerichtsprozess zieht keine weitreichenden Konsequenzen für die Rechtssituation der Schwarzen nach sich, man ignoriert gemeinhin, dass Trout sich seiner Gefängnisstrafe durch Bestechung entzieht, das Scheidungsverfahren, in dem Bonner Hanna vertritt, stagniert wegen rechtlicher Kleinigkeiten und wird Bonner sicher nicht zu dem erhofften Karrierekick verhelfen, während sich für Hanna selbst und für ihr Verhältnis zu Seagraves durch die Trennung von Trout nicht viel ändert. Hanna und Trout sind die Einzigen, die sich nicht der vorherrschenden Meinung anschließen, dass sich manche Dinge nicht ändern lassen – was vielleicht auch der Grund dafür ist, dass die Affäre zwischen Hanna und Seagraves keinen Bestand hat:

»Your character«, she said. »You are fair with me, more than anybody else has been. You tell the truth. But there is a whole other side that comes out sometimes, and makes me wonder what world you live in.«

»The same world as everybody else«, he said. »There’s good and bad, and it’s no sense getting upset over it. You take things as you find them. … What do you expect?«

»Something else.«

Die Weigerung von Hanna und Trout, die Dinge so zu nehmen, wie sie sind, nimmt sehr unterschiedliche Formen an, zeitigt jedoch bei beiden keine positiven Ergebnisse – Alpträume und Tod sind die Folge.

Pete Dexter: Paris Trout | Englisch
Flamingo Taschenbuch 1993 | 334 Seiten | Nur noch antiquarisch erhältlich