Verdammt, wenn man darüber nachdenkt, ist es wie beim Brexit. Wir werden noch zwei volle Jahre verhandeln, bis wir uns darüber einigen können, wo die Probleme überhaupt liegen. (Nick Hornby in »Keiner hat gesagt, dass du ausziehen sollst«)
Seit seinen ersten beiden Romanen wird der britische Schriftsteller Nick Hornby gern als Kultautor bezeichnet. Während in »Fever Pitch« der Fußball im Mittelpunkt steht, geht es in »High Fidelity« um die Besessenheit von der Pop- und Rockmusik. Außerdem waren weitere Bücher erfolgreich und wurden zum Teil verfilmt. Inzwischen schreibt Hornby auch direkt für den Film. Aus seiner Feder stammt das Drehbuch für Stephen Frears‘ Miniserie »The State of the Union«, dessen Text im vergangenen Jahr auch in Buchform erschien. Die deutsche Übersetzung von Ingo Herzke hat den Titel »Keiner hat gesagt, dass du ausziehen sollst: Eine Ehe in zehn Sitzungen«.
Die Ärztin Louise und der arbeitslose Musikjournalist Tom sind schon etliche Jahre verheiratet. Sie haben zwei Kinder und einen Hund. Im Laufe der Jahre ist ihnen jedoch die Leidenschaft verloren gegangen. Louise hat ihren Mann betrogen. Nun hat sie ein schlechtes Gewissen und schlägt ihrem Mann eine Paar-Therapie vor. Vor ihren Sitzungen treffen sie sich im Pub gegenüber, um all das aufzuarbeiten, was sonst »unter den Teppich gekehrt« und in den Therapie-Stunden thematisiert wird.
Während der folgenden zehn Treffen spielt Nick Hornby seinen größten Trumpf aus: seine grandiose Beobachtungsgabe banaler Alltäglichkeiten. Wohlgemerkt, der Leser wird nur Zeuge, wie sich das Paar vor der jeweiligen Sitzung warm redet. Die eigentliche Therapiestunde findet hinter verschlossenen Türen statt.
Hornby gestaltet die Dialoge zwischen Louise und Tom kurzweilig und spritzig, gönnt dem Leser den einen oder anderen Überraschungseffekt und schafft Vertrautheit. Der Leser erlebt die beiden Protagonisten sehr authentisch. Sie streiten auf gleicher Höhe, geben sich angriffslustig, reden sich heraus, verletzen sich, sind sich fremd und doch so nah und verteidigen ihre verschiedenen Sichtweisen auf die kommende Zeit.
Neben Louises Seitensprung birgt ihre unterschiedliche Meinung zum Thema »Brexit« (siehe englischer Titel »The State of the Union« – Die Lage der Nation) reichlich Konfliktpotenzial. Tom outet sich als Brexit-Befürworter, weil er Louises Freunde ärgern will. Führt dies etwa zum »Ehe–Exit«? Tom verlässt die gemeinsame Wohnung und zieht in ein besetztes Haus.
Beeindruckend ist, wie Louise und Tom die jeweiligen Stärken und Schwächen des anderen ausloten und die eine oder andere Verwundbarkeit ad absurdum führen. Die Debatten schürfen tief, schlagen ernstere wie auch bittere Töne an. Inmitten des Schlamassels der Leser, der das Büchlein nicht mehr weglegen mag. Am Ende ist man froh, wenn der Horizont wieder zartrosa schimmert.
Vorgefertigte Lösungen wird man in Nick Hornbys literarischen Kammerspiel nicht finden. Sich selbst zu ertappen und zu schmunzeln, kann gewiss manches Ehe-Gewitter abschwächen. Ziehen dunkle Wolken am Paarhimmel auf, lassen sich Hornbys ausgefeilte Dialoge durchaus in verteilten Rollen lesen; vor den Therapie-Sitzungen, versteht sich.
Nick Hornby: Keiner hat gesagt, dass du ausziehen sollst: Eine Ehe in zehn Sitzungen
Deutsch von Ingo Herzke | Kiepenheuer & Witsch 2020 | 160 Seiten |
Leseprobe und mehr | Bestellen