Da morgens um Viertel nach sieben die Temperatur in seinem Schlafzimmer noch unter Weltraumniveau liegt, hat Joshua Joseph Spork einen langen Ledermantel und ein Paar der Golfsocken seines Vaters angezogen. Eigentlich ist Papa Spork gar kein wahrer Golfer gewesen. Wahre Golfer besorgen sich ihre Socken nicht, indem sie einen Lastwagen auf dem Weg nach St Andrews überfallen. So was gehört sich einfach nicht. Golf huldigt der Geduld. Socken kommen und Socken gehen, und der weise Golfer wartet ab, bis er das Paar entdeckt, das ihm zusagt, und kauft es dann ohne viel Getue. Stattdessen einem vierschrötigen Lastwagenfahrer aus Glasgow eine Maschinenpistole ins Gesicht zu halten und ihm zu sagen, er solle sein Führerhaus verlassen oder in ihm das Zeitliche segnen … nun ja. Ein Mann, der sich so verhält, wird nie ein Handicap unter zehn zustande bringen.
Joe Spork verbringt ein ruhiges Dasein als Uhrmacher in London. Sein Vater war eine Gangsterlegende, aber Joe hat mit seiner Familiengeschichte abgeschlossen. Aus Versehen aktiviert er eine Weltuntergangsmaschine und muss nun alles versuchen, diese wieder außer Kraft zu setzen. Dabei kreuzt er den Weg der neunzigjährigen Ex-Geheimagentin Edie Banister, die seit Jahrzehnten gegen den diabolischen asiatischen Diktator Shem Shem Tsien kämpft. Sie verbünden sich, um die drohende Gefahr abzuwenden. Dazu muss Joe die kriminellen Kontakte seines Vaters wieder aufleben lassen. Zusammen mit der Londoner Unterwelt nimmt er den Kampf gegen mysteriöse Regierungsbeamte, mechanische Bienen und den asiatischen Diktator auf.
Neun Jahre später stand Edie am Rande eines Abgrunds und starrte in die Tiefe. Sie hatte rund um die Erde gegen Shem Shem Tsien gekämpft, und nie hatte sich etwas verändert oder war besser geworden. Er verübte irgendeine Schandtat, sie räumte hinter ihm auf; in Rom, in Kiew, in Havanna. Sie kämpften auf Schiffen und in Höhlen, auf Häuserdächern und in dunklen Gassen. Manchmal hatte der eine oder der andere eine Armee im Rücken, manchmal waren sie allein. Es hörte und hörte nicht auf.
Der Roman ist anfangs etwas schleppend und verlangt Geduld, aber sobald er in Fahrt kommt, saust er wie eine Lawine zu Tale. Und zwar genauso unberechenbar und ausufernd. Man weiß schon früh, dass der Autor die vielen Handlungsbälle, die er in die Luft wirft, nie alle wieder auffangen wird, aber es ist einem völlig gleichgültig. Und das ist das Schöne an diesem Buch, es ist zu keinem Zeitpunkt berechen- oder beherrschbar. Die Handlung bricht in jede Richtung aus und manche gedankliche Ausschweifung verliert sich in unendlichen Weiten.
So geschieht die Wandlung Joes vom sympathischen Loser zum unbezwingbaren Unterweltkämpfer mit MacGyver-Attitüde völlig abrupt, fällt in dieser abgedrehten Handlung aber nicht negativ ins Gewicht. Wer zuvor die Weltuntergangsmaschine und eine neunzigjährige Geheimagentin geschluckt hat, ist als Leser zu weitaus mehr bereit. Manche mögen das offensichtliche Mängel nennen, ich nenne es ungebremste Fabulierlust.
»Der goldene Schwarm« hat mich genauso begeistert wie der Vorgänger »Die gelöschte Welt«. Beide sind nicht einfach zu lesen, manchmal verworren, aber immer lohnend. Harkaways Debüt war in erster Linie Science Fiction, diesmal hingegen erwartet den Leser eine Mischung aus Gangsterkomödie, Abenteuerroman und Mystery-Krimi. Ein gutgelauntes Sammelsurium an Themen, Abschweifungen und skurrile Details in verschwenderischer Fülle. »Der goldene Schwarm« gehört eindeutig zu jenen Romanen, die man mehrmals mit Gewinn lesen kann. Für mich eines der besten Bücher dieses Jahres.
Nick Harkaway: Der goldene Schwarm | Deutsch von André Mumot
Albrecht Knaus Verlag 2014 | 608 Seiten | Jetzt bestellen