Der Mond explodierte ohne Vorwarnung und ohne erkennbaren Grund. Er war im Zunehmen, zum Vollmond fehlte nur ein Tag. Die Zeit war 05:03:12 UTC. Später würde man sie als A+0.0.0 oder schlicht Null bezeichnen.
Ohne Vorwarnung zerbricht der Mond eines Tages in sieben Teile, die immer wieder miteinander kollidieren. Durch die Zusammenstöße entstehen Millionen kleiner Gesteinsbrocken, die als sogenannter »Harter Regen« auf die Erde niedergehen werden und so ein Leben auf der Oberfläche unmöglich machen.
Experten schätzen die verbleibende Zeit auf zwei Jahre. Deshalb versucht man, eine Raumstation, die an den Asteroiden Amalthea gekoppelt ist, zu einer neuen Arche Noah auszubauen. Nur wenige tausend, streng ausgewählte Menschen werden in den Weltraum geschafft, alle anderen bekommen von ihrer jeweiligen Regierung Euthanasie-Tabletten oder versuchen, in unterirdischen Stationen den Meteoritenschauer zu überleben, der viele tausend Jahre anhalten soll.
Der Auftakt ist grandios und fesselt den Leser an die Seiten. Wenn man noch nicht zu viel über den weiteren Verlauf weiß, ist die Spannung fast unerträglich. Doch selbst nach Lektüre des Klappentextes kann man noch ordentlich mitfiebern, denn die Handlung ist viel zu komplex, um sie in wenigen Sätzen verraten zu können.
Der Roman besteht aus drei Teilen. Der erste Teil beschreibt die Zeit von der Explosion des Mondes bis zum Beginn des »Harten Regens«. Hier werden die Bemühungen geschildert, die die Menschheit unternimmt, um ihr Überleben zu sichern. Der zweite Teil schildert die folgenden fünf Jahre im All, mit den Widrigkeiten, die dieses Leben so mit sich bringt. Es kommt zu einer Tragödie, die die wenigen Überlebenden nach völlig neuen Wegen suchen lassen muss. Im dritten Teil macht die Handlung dann einen Sprung um 5000 Jahre in die Zukunft. Wir erleben, wie sich die Menschheit weiterentwickelt hat und nach Beendigung des »Harten Regens« eine Neubesiedlung der Erde wagt.
»Amalthea« ist kein Actionkracher für Armageddon-Fans und auch kein Drama über den Untergang der Erde, sondern in der ersten Hälfte ein technisches Gedankenspiel über die Machbarkeit und Umsetzung eines solchen Projektes. Dies geschieht in so detaillierter Form, dass man annehmen darf, der Roman könne als Handbuch für einen solchen Ernstfall dienen. Wie immer bei Stephenson wird die Geschichte auf über tausend Seiten erzählt und verliert sich stellenweise in ausufernden, technischen Beschreibungen, während dagegen das Geschehen auf der Erde in dieser Zeit etwas zu kurz kommt.
Man braucht als Leser etwas Geduld wegen der technischen Ausführungen, aber Stephenson greift dafür auch viele Aspekte auf, die man als Laie niemals in Betracht ziehen würde, sodass man aus dem Staunen kaum herauskommt. In der zweiten Hälfte ist der Roman eine Science-Fiction-Spekulation über eine mögliche neue Zukunft der Menschheit.
Neal Stephenson überzeugt wieder einmal durch ein Buch, das sich inhaltlich von seinen vorherigen Romanen unterscheidet, aber all ihre Qualitäten versammelt.
Neal Stephenson: Amalthea | Deutsch von Nikolaus Stingl und Juliane Gräbener-Müller
Manhattan 2015 | 1.065 Seiten | Link