Wenn du im Einzelhandel keine Lucy sein willst, musst du Wege finden, um die Trostlosigkeit ein bisschen abzumildern.
Lucy ist die junge Frau, die letzten Monat in ihrer Mittagspause aus dem dritten Stock sprang. Sie war Kassiererin bei Taco Town. Inzwischen ist sie sprichwörtlich geworden – »Wenn der heutige Tag nicht bald schneller vergeht, dann mach ich die Lucy« – oder zu einem Substantiv – »Die Neue lächelt nie. Sieht aus wie ’ne Lucy.« Ich persönlich versuche, der Toten gegenüber nicht respektlos zu sein.
Die zwölf Geschichten in diesem Erzählband handeln von Rassismus, Gewalt und Konsum. Absurd übersteigerte Geschichten, die ihre Wirkung nicht verfehlen. In der ersten hat ein weißer Mann fünf schwarze Kinder mit einer Kettensäge ermordet und plädiert nun in einer Gerichtsverhandlung auf Notwehr. In einer anderen Geschichte erscheinen einem jungen Mann die abgetriebenen Föten seiner zukünftigen Kinder und verlangen Auskunft, weshalb er sie nicht haben wollte. Ein Schlussverkauf, bei dem sich die Kunden wie in einer Gladiatorenarena aufführen. Die Geister eines Schulattentäters und eines seiner Opfer streiten sich nach dem Tod.
Dies mag nach brutalen Horrorgeschichten klingen, aber es handelt sich um Satire ohne explizite Gewalt. Die Themen werden nicht realistisch behandelt, sondern gnadenlos überzogen. Das wirkt oft verstörend, ist inhaltlich aber sehr interessant und spannend. Wenn die Menschen in ihrer Konsumgier völlig gewissenlos werden und sogar Kinder überrennen, um an die begehrten Artikel zu gelangen, während sich die Verkäufer oben auf den Regalen in Sicherheit bringen und von dort weiter Waren herabreichen, ist das schrecklich und komisch zugleich.
Die erste Geschichte des Buches namens »Finkelstein 5« hat mir am besten gefallen. Sie behandelt die Ungerechtigkeit des amerikanischen Justizsystems, in dem ein geschickter Anwalt mit seiner Argumentation Jury und Geschworene nach Belieben manipulieren kann. Die Argumentation des Angeklagten und die seines Verteidigers bringen in ihrer Unverfrorenheit das Blut des Lesers zum Kochen. Die Motivation der Hauptfigur konnte ich zwar nicht nachvollziehen, aber den alltäglichen Rassismus, dem sich Afroamerikaner ausgesetzt sehen, und die Verselbstständigung der Gewalt in der Gesellschaft.
»Friday Black« kann ich empfehlen, da der Erzählband viele interessante Perspektiven und auch einige Denkanstöße bietet, aber wirkliche Freude hat er mir nicht bereitet. Literatur ist immer auch eine Frage des Geschmacks. Nicht eines guten oder schlechten Geschmacks, sondern dem, der sich aus eigenen Interessen, Vorlieben, Lese- und Lebenserfahrungen zusammensetzt. Aus diesem Grund gibt es hervorragende und beliebte Autoren, mit denen ich persönlich aus unterschiedlichen Gründen nichts anfangen kann, wie beispielsweise Don DeLillo, Haruki Murakami oder John Irving.
Nana Kwame Adjei-Brenyah gehört leider zu dieser Gruppe, obwohl sein Schreibstil keinem der drei genannten Autoren ähnelt. Auf dem Cover prangt ein Lob von George Saunders und tatsächlich würde ich die vorliegenden Geschichten am ehesten mit dessen Erzählband »I can speak!™« vergleichen. »Friday Black« ist satirisch überspitzte Gesellschaftskritik, die aufrüttelt, aber nur selten berührt.
Nana Kwame Adjei-Brenyah: Friday Black | Deutsch von Thomas Gunkel
Penguin Verlag 2020 | 240 Seiten | Jetzt bestellen