Über den alterslosen, unsterblichen Star Maker war so gut wie nichts bekannt. Allenfalls Gerüchte hörte man, böse Gerüchte – sogar sein Geschlecht war seit Neuestem Gegenstand heißer Debatten: Manche sagten, er sei ein Mann, andere behaupteten, er lasse sich gerade zu einer Frau oder gar zu etwas noch Abgründigerem umwandeln. Dieser Star Maker! Man stelle sich vor, dachte Mortimer: Oriole Press fällt in solche obszönen Hände.
Dino Tomasso wird auf Anweisung des allmächtigen Star Maker nach London geschickt, um einen Verlag zu übernehmen. Er empfindet die angebliche Chance als Verbannung, will aber den Erfolg um jeden Preis. Mortimer ist Lektor in diesem Verlag und macht sich schon lange Hoffnungen auf die Führungsspitze. Nebenbei unterstützt er seine alte kanadische Grundschullehrerin auf der Suche nach dem London von Charles Dickens und Jane Austen, erträgt die Launen seiner hygienebesessenen Frau, die versucht dem gemeinsamen Sohn einen Ödipus-Komplex nachzuweisen, und wird von seiner Impotenz gequält. Letztere erweckt in seiner Frau den Verdacht, dass er sich bei anderen Frauen verausgabt, und sie beginnt eine Affäre mit seinem besten Freund.
Dinos erstes Projekt in dem Verlag, eine Reihe von Biografien relativ unbekannter Prominenter, wird durch den überraschenden Selbstmord des ersten Prominenten ein Bestseller. Die zweite Biografie wird ebenfalls ein Bestseller, nachdem der Prominente an einer Überdosis gestorben ist, und in Mortimer erwächst ein schrecklicher Verdacht.
»Cocksure« ist eine turbulente Satire auf die Swinging Sixties in London und auf die sexuelle Revolution. Mortimer gerät von einer bizarren Situation in die nächste. Er erlebt die Grundschulklasse seines Sohnes, wie sie den Marquis de Sade als Verfechter einer freien Geisteshaltung im Unterricht behandelt und später ein Theaterstück dazu aufführt. Die deutschen Unternehmensberater, die bei der Umstrukturierung des Verlages helfen sollen, treten alle in langen Ledermänteln auf, und selbst die Frauen haben einen Schmiss auf der Wange. Hy, Mortimers Konkurrent in der Verlagshierarchie, ist in seiner Freizeit unterwegs, um verkappte Antisemiten zu enttarnen und sich mit ihnen zu prügeln, wobei er schlicht jeden als Antisemiten betrachtet und immer Prügel bezieht. Und der Star Maker stellt seine Hollywoodstars künstlich her, um ihren Allüren zu entgehen:
Eine herrliche Arbeit! Drei Gesichtsausdrücke, Mortimer. Drei! Sein Gang: vollendet. Er sprach zusammenhängend, bis zu zwölf Wörter pro Satz. Richtige Bücher und Skripte konnte er natürlich nicht lesen – beinahe menschlich, was? Aber Synopsen, die hat er kapiert und sich auch gemerkt. Mortimer, unter Schauspielern ging unser Mini-Goj als Intellektueller durch.
Mordecai Richler zählt zu den wichtigsten kanadischen Autoren und viele seiner Bücher wurden erfolgreich verfilmt. Dieser Roman erschien 1969 und liegt nun zum ersten Mal in deutscher Sprache vor. Der Verlag Liebeskind hat mit der Veröffentlichung von »Die Lehrjahre des Duddy Kravitz« im letzten Jahr und »Cocksure« in diesem eine lange klaffende Lücke in der Bibliografie Richlers geschlossen.
»Cocksure« ist ein witziger und sehr kurzweiliger Roman über ernste Themen. Er kann sich noch nicht ganz mit Richlers späteren Meisterwerken wie »Joshua damals und jetzt«, »Wie Barney es sieht« und – vor allem – »Solomon Gursky war hier« messen, aber er zeigt bereits alle Qualitäten, die diesen Autor ausmachen. Da fast alle seine Romane nur noch antiquarisch erhältlich sind, bietet »Cocksure« momentan die beste Möglichkeit, um Mordecai Richler zu entdecken.
Mordecai Richler: Cocksure | Deutsch von Silvia Morawetz
Liebeskind 2008 | 255 Seiten | Jetzt bestellen