Merlin Holland: Oscar Wilde im KreuzverhörDie tragische Romanze zwischen dem großen irischen Dichter Oscar Wilde und dem jungen Lord Alfred Douglas ist wohl nicht weniger bekannt als Wildes feingeistige Theaterstücke, wie zum Beispiel »Lady Windermere’s Fächer« oder »Bunbury«.

Merlin Holland, der einzige lebende Enkel des berühmten Dandys, hat in seinem Buch »Oscar Wilde im Kreuzverhör« die Abschrift des kompletten »Queensberry-Prozesses« der geneigten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt, und man kann sagen, dieses Sachbuch liest sich eigentlich eher wie ein Roman, wie ihn selbst Oscar Wilde kaum besser hätte verfassen können.

Worum geht es genau? Oscar Wilde, bekannt für seine (zumindest) Bi-Sexualität, bändelt im auslaufenden 19. Jahrhundert mit dem Sohn des Marquis von Queensberry an, eben jenem Alfred »Bosie« Douglas, eine Romanze, die ihm später zum Verhängnis werden sollte. Er schreibt ihm glühende Liebesbriefe (die er später, während des Prozesses, als literarische Kunstwerke darzustellen versucht). In den Briefen begegnet man (aus heutiger Sicht) recht eigentümlichen Formulierungen, wie zum Beispiel die Beschreibung der Lippen seines Angebeteten, die unter anderem für die »Raserei von Küssen« geeignet seien. Solch Treiben bleibt natürlich nicht ungehört in der damaligen Zeit, zumal sich Wilde offensichtlich auch noch mit einigen anderen, stets deutlich jüngeren Männern (die samt und sonders in keiner Weise seinem Stande entsprechen) vergnügt und überdies seine Vorlieben (in unzulässig verschleierter Form) literarisch zum Ausdruck bringt.

John Sholto Douglas, der Ninth Marquess of Queensberry, ein offenbar jähzorniger, ohnehin leicht reizbarer, grobschlächtiger Mann, sieht seinen Ruf und den seiner Familie in höchster Gefahr. Er provoziert einen Skandal, als er im Albemarle Club (den sowohl er als auch Oscar Wilde frequentiert) eine Visitenkarte mit einer skandalösen Widmung hinterlässt, die den Dichter als »posierenden Somdomiten« bezichtigt. Leider begeht Wilde daraufhin den fatalen Fehler, den Disput vor Gericht zu bringen, und im Laufe der dreitägigen Gerichtsverhandlung wird es mehr und mehr zur Gewissheit, dass der Mann des Wortes offensichtlich nicht nur wie ein Homosexueller erscheint, sondern seinen Neigungen wohl auch im höchsten Maße fröhnt.

Was in unserer Zeit niemand hinter dem Ofen hervorlocken würde, bedeutete damals einen Skandal unbeschreiblichen Ausmaßes. Während Oscar Wilde zunächst noch mit seiner Redegewandheit brillierte, ritt er sich im Laufe der Untersuchung mit seinen Ansichten und Geständnissen immer weiter ins Verderben. Das Schlussplädoyer der Verteidigung bewirkte den Freispruch für den Marquis und markierte den Anfang vom Ende für Oscar Wilde. Der Rest der Tragödie ist bekannt. Oscar Wilde wurde der Sodomie angeklagt und ins Zuchthaus verbannt, er und seine Familie waren ruiniert.

Merlin Holland: Oscar Wilde im Kreuzverhör | Deutsch von Henning Thies
Blessing 2003 | 455 Seiten | Jetzt bestellen